Rundbrief 56 – Mai 2025

Inhalt:

Bosnien

Früher hieß unser Verein „Aachener Netzwerk für humanitäre Hilfe in Bosnien-Herzegowina und Kroatien e. V.“ – das merkt man auch heute noch. Unsere Arbeitsschwerpunkte liegen oft in Bosnien. Unsere Sport- und Kreativ-Werkstatt HEJ liegt in Bosnien. Ebenso unser Haus, das von SOS Bihać vorwiegend für die Flüchtlings­arbeit genutzt wird.

Der Schwerpunkt dieses Rundbriefs liegt sehr deutlich in Bosnien – aus gutem Grund.

Vor 30 Jahren ereigneten sich die Massaker von Tuzla (am 25. Mai) und Srebrenica (am 11. Juli) – und wir bemühen uns, darauf aufmerk­sam zu machen.

Dazu haben wir das Buch „Suada“ von Heinz Jussen neu aufgelegt. Unser Gründer und Ehrenvorsitzender Heinz Jussen war während des Krieges und auch später mehrfach in Tuzla. Die damaligen Ereignisse hat er in diesem Buch verarbeitet.

Dazu veranstalten wir am 26. Mai eine Lesung in der Aachener Buchhandlung Schmetz am Dom. Anmeldung bitte nicht vergessen!

Dazu halten wir am 2. Juni einen (nicht öffentlichen) Vortrag beim Lions Club Aachen Dreiländereck.

Dazu haben wir den bosnischen Botschafter Damir Arnaut ein­geladen, der im Rahmen des Aachener Weltfestes am 28. Juni einen Vortrag halten wird.

Dazu seid ihr alle herzlich eingeladen!

Hauptteil des Rundbriefs bildet der Bau eines Spielplatzes im bosnischen Travnik. Wie so oft sind an einem guten Projekt viele Leute beteiligt. Und gut wird es, wenn sie gut kooperieren. Das ist hier mal wieder gelungen.

Letztes Jahr Busovača, dieses Jahr Travnik – mal sehen, wie es weiter geht.

Dirk, Giana, Helmut, Julia und Mujo – Der Vorstand des Aachener Netzwerks

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Suada – das Buch

25. Mai 1995. Bosnien. Man feiert den Tag der Ju­gend. Eine einzige serbische Granate deto­niert vor meh­reren Cafés und Geschäften der bosnischen Stadt Tuzla. 71 Zivilisten sterben, 173 wer­den verletzt.

Der Gründer und Ehrenvorsitzende des Aachener Netzwerks, Heinz Jussen sammelte seit Ende 1992 Lebensmittel, Medikamente und Kleidung, um den Bewohnern der Kriegsgebiete zu helfen. Deshalb kannte er Tuzla, deshalb „traf“ ihn die Granate auch selbst. In „Suada“ bindet Heinz Jussen die Geschehnisse in eine Geschichte ein, die vor dem 25. Mai beginnt und lange nachwirkt.

Ab sofort gibt es das lange vergriffene Buch „Suada“ von Heinz Jussen in einer über­arbeiteten Version.

Daran waren viele beteiligt, denn von der Ausgabe, die vor 20 Jahren erschienen ist, gab es nur noch Papier. Mehrere Mitglieder unseres Vereins haben Korrektur gelesen, neue und alte Fehler verbessert, die Rechtschreibung an die neue Rechtschreibung angepasst, …

Ein besonderer Dank geht an „unsere“ Grafikerin Kristina Sehl für das Cover.

Das Taschenbuch gibt es in jeder Buch­handlung oder beim Aachener Netzwerk zum Preis von 10 €. Sprecht uns gerne für eine signierte Ausgabe an.

Es gibt auch eine digitale Version im ePub-Format zum Preis von 3,99 €.

Das PDF gibt es kostenlos auf unserer Homepage.

Eine bosnische (Neu-)Auflage ist in Arbeit.

Helmut Hardy

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Suada – die Lesung

Oder: Wie verarbeitet man ein Massaker?

1992. Krieg im ehe­ma­ligen Jugos­la­wien. Auch in Aachen starteten tolle Hilfs­aktionen – wo­durch sich später das Aachener Netz­werk gründete.

Heinz Jussen ist mit dabei, ganz vorne. Er fährt selbst in die Kriegsgebiete, unter anderem nach Tuzla, wo am 25. Mai 1995 eine Katastrophe, ein Massaker stattfindet, das er in einem Buch verarbeitet hat.

Zum 30. Jahrestag des Massakers veranstalten wir, zusammen mit der Buchhandlung „Schmetz am Dom“, eine Lesung aus dem gerade neu aufgelegten Buch „Suada“. Musikalisch begleitet Hejo Schenkel­berg mit seinem Akkordeon den Abend.

Tuzla (an der Markierung steht das obige Denkmal)

Nach der Lesung besteht natürlich die Möglichkeit, das Buch zu erwerben und es von Heinz Jussen signieren zu lassen.

Beginn ist am Montag, 26. Mai 2025, um 19:30 Uhr in der Buchhandlung „Schmetz am Dom“, Münsterplatz.

Der Eintritt ist frei, um Anmeldung bei „Schmetz am Dom“ (info@buchhandlung-schmetz.de) wird aus Platzgründen gebeten.

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Der Krieg und die Folgen

Vor 30 Jahren herrschte in Bosnien Krieg. Am 25. Mai 1995 ereignete sich das Massaker von Tuzla, am 11. Juli 1995 das Massaker von Srebrenica. Sie jähren sich in diesen Tagen zum 30. Mal.

Damals sind viele Bosnier*innen nach Deutschland gekommen und sind zum Teil heute noch in Deutschland. Auch heute zieht es viele junge Bosnier*innen nach „Europa“, weil die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen schwierig sind und die Verhältnisse zu Serbien und zum serbischen Teil Bosniens, genannt Republika Srpska, immer noch schwierig sind und jederzeit eine Eskalation droht.

Um an diesen Krieg und seine Folgen zu erinnern, haben wir den bosnischen Bot­schafter Damir Arnaut eingeladen. Und er kommt! Er wird im Rahmen des 39. Aachener Weltfests am Samstag, den 28. Juni, um 15:45 Uhr in der Aula des Welthauses (Aachen, An der Schanz 1, 2. Etage) über

„Krieg, Aggression und Völkermord:
Auswirkungen und Folgen.
Der Fall Bosnien und Herzegowina“

sprechen. Der Vortrag wird zweisprachig in Englisch und Bosnisch gehalten.

Vorher werden wir den Botschafter durch Aachen führen und die Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen wird ihn im Rathaus empfangen.

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Aachen zeigt Engagement

– und wir waren dabei!

Am 18. Mai, ein Sonntag, waren wir mit unserem Stand mitten im Herzen von Aachen, im Stadtpark hinter dem Eurogress, beim Aktionstag „Aachen zeigt Engagement“ – und haben dabei un­glaublich viele tolle Begeg­nungen erlebt!

Vom Wiedersehen mit Menschen, die uns vom letztjährigen Multikulti-Fest kannten, über ehemalige Schülerinnen unseres Ehren­vorsitzenden Heinz Jussen, die mit strahlenden Augen von seiner Leidenschaft und seinem Einsatz erzählten, bis hin zu Interessierten, die Lust haben, selbst ehrenamtlich aktiv zu werden – es war einfach großartig!

Und: Auch der Austausch mit anderen engagierten Vereinen lief super – neue Kontakte, neue Ideen, neue Motivation!

Danke an alle, die vorbeigeschaut, mit uns gesprochen und uns inspiriert haben!

Mersiha Krivdic

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7 Tage in Travnik

Ihr erinnert euch daran, dass wir im letzten Jahr zusammen mit den Chaos-Kids in Bosnien einen Spielplatz gebaut haben? Ehrlich gesagt: Es waren die Kids, die den Spielplatz gebaut haben. In Busovača, das durch HEJ international bekannt wurde 😉
Dieses Jahr ging es weiter, in Travnik, einem Nach­barort von Busovača. Wieder als Kooperation der Chaos-Kids und HEJ.
Mirjam Lampe hat uns täglich berichtet:

Anreise, 12. April:

Die Busfahrt lief sehr entspannt und unkompliziert ab und dank der Handys waren die Kinder sehr ruhig und zufrieden. Nur die arme Milena musste ein paar Mal spucken, ertrug es aber tapfer. Wir fuhren bei Tageslicht an den noch verschneiten Alpen entlang, was für die „Fischköppe/innen“ unter uns ein beson­ders schöner Anblick war.

Leider riss uns der Grenzübertritt nach Bosnien aus dem endlich eingetretenen Schlaf, verlief aber sehr unkompliziert, so dass die Kids sogar einfach durchgewunken wurden und nur ich meinen Pass zeigen musste. Leider verlor Eliah V. bei dieser Aktion seinen Personalausweis. Wir sind aber dran, ihn wieder zurückzubekommen. Wir kamen dann etwas später, gegen 8:00 Uhr früh, in Travnik an, wo wir direkt zu unserer Waaaaahnsinns-Unterkunft gebracht wurden. Das komplette Theater mit Bar, Tisch­tennis­platte, Fußballplatz, riesigen Räumen und tollen 1-4-Bett-Zimmern steht uns zur Verfügung und hier wurden wir mit einem üppigen Frühstück empfangen.

Später begutachteten wir schon mal den Bauplatz, es kam noch einiges an Holz, wir machten erste Pläne und bekamen schon ein tolles Mittagessen. Also, diese Bosnier sind so ein liebes, gastfreundliches Volk, dass es eine Wonne ist!

Azem, unser „Zauberer“ vor Ort, organisiert und macht alles für uns möglich! Der Bauplatz ist genial, so richtig im Herzen der Stadt (so fühlt es sich an). Schon ohne dass wir gebaut haben, kamen viele neugierige Kinder und Jugendliche, wie wird das erst, wenn der Platz bespielbar ist? Ich denke, dass Hunderte von Kindern davon profitieren werden und das ist das tollste Ziel, das wir mit so einem Projekt erreichen können.

Erster Arbeitstag, 13. April:

Der zweite Tag neigt sich schon dem Ende zu und wir haben uns sowohl miteinander als auch auf der Baustelle schon richtig „einge­grooved“.

Gestern Abend waren noch die Bauleute und Mujo mit seinen 2 Söhnen eingetroffen, so dass wir heute morgen um 10:00 Uhr gut gefrühstückt und endlich ausgeschlafen gemeinsam die Baustelle eröffnen konnten. Auf dem Bauplatz hatten wir im Vorfeld Funda­mente und Anlagen des alten Spielplatzes vorgefunden, die wir nun versuchen wollen in unseren neuen Plan zu integrieren. Dafür mussten wir heute aber erstmal richtig viel abbauen, vor allem auch die morschen Geräte, die Hilli fast einen Sturz aus 3 Metern Höhe beschert hätten, wenn nicht viele aufmerksame Kids hinzugeeilt wären, um den Stamm zu halten, der einzustürzen drohte. Da wir erst später eine Leiter bekamen, mussten wir einige halsbrecherische Kletterkunststücke voll­bringen, die den Kids aber auch sehr viel Spaß bereiteten. Wie ich schon gestern vermutete, kamen heute schon viel mehr Kinder, die staunend beobachteten, wie wir Müll sammelten, Balken einstürzen ließen und über den Platz wuselten, bis ich sie zu ihrer großen Freude einlud, uns beim Schleppen und Aufräumen zu helfen. Tatjana und einige andere Mädels kümmerten sich zwischendrin immer wieder um die herumlungernden Straßen­hunde und -katzen, die alle trächtig zu sein scheinen.

Aller Anfang ist schwer

Zum Mittagessen gab es leckere Spaghetti Bolognese von den netten Damen des Theater-Caterings, die sich sehr bemühen, unsere Wünsche zu berücksichtigen und super­freundlich, interessiert und gespannt sind, was wir Tolles bauen!

Das Wetter ist super, teilweise bewölkt, aber auch sonnig, so dass alle schon ein bisschen Farbe bekommen haben. Und ich muss sagen, ich bin total begeistert, wie toll die Gruppe schon zusammengewachsen ist, und auch alle „Neuen“ ihren Platz gefunden haben und sich wohl fühlen!

Nun flitze ich zum Abendbrot machen, um die Handyzeit wieder zu beenden (ich gebe ihnen die Handys ja nur zwischen Baustellenende und Abendbrot und die meisten finden es super)! Wir freuen uns auf morgen!!!

Zweiter Arbeitstag, 14. April:

Was für ein Tag! Die Motivation, Effektivität und Aktivität, die heute den kompletten Tag ungebrochen war, ist wahrscheinlich nicht zu toppen!

Das Wetter war bewölkt und manchmal sogar ein wenig regnerisch, aber das hinderte uns gar nicht, mit vereinten Kräften in den Bautag zu starten.

Wir fingen um 9:00 Uhr mit einem „Faul-Ei-Spiel“ (auch „Plumpsack“ genannt) an, um dann in Gruppen aufgeteilt an 6 Bereichen loszulegen. Es gab eine Sandkasten-, eine Schaukel-, eine Klettergerüst/Turm-, eine Boulderwand/Fitness-, eine Balancier/Feuer­stelle/Wippe-, und eine Schleif-Gruppe. Es wurde noch Holz gebracht (vom Projekt des letzten Jahres), der Bagger kam, um doch noch einige Fundamente auszugraben, die Konstruktionsstämme wurden gestellt und später mit Schubkarren unter wahnsinniger Kraft- und Ausdaueranstrengung vom LKW zu den über 30 Löchern mit Beton befüllt. Es gab „Bretterstapelketten“ von 10 – 15 Kindern, um die Bretter im Haus zu lagern, damit sie am nächsten Tag verbaut werden können und nicht „anderweitig“ genutzt werden. Die ersten Podeste entstanden, die Wippe wurde schon fast fertig und am Abend war der Platz schon kaum mehr wiederzuerkennen.

Zwischendurch bekamen wir Burger und Pommes zu essen, kauften dem italienischen Café um die Ecke stapelweise Kaffee ab und bekamen viel Besuch von Kindern, die mithelfen wollten, oder sich einfach mitten rein setzen, um die geschäftige Atmosphäre zu inhalieren. Als wir aufgeräumt hatten und sich mindestens 15 Kids in unser Auto gequetscht hatten, um zur Herberge zu fahren, konnten wir im Rückspiegel noch sehen, wie die Menschen aus den Wohnblocks angeströmt kamen, um zu bewundern, was heute passiert war. Das ist so ein wunderbares Gefühl, zu sehen, was wir gemeinsam schaffen können und wie es andere Menschen begeistert und beglückt. Und heute kamen mir ab und zu fast die Tränen vor Stolz und Freude über diesen Elan, den Eure Kinder an den Tag gelegt haben!

Nach dem Abendessen gab es dann noch einen kleinen Tanzkurs von Berni und mir, Skadie und Elias, bei dem alle ein paar Schritte Cha-Cha-Cha, Fox und Forro lernen konnten. Und selbst hierbei waren alle noch so begeistert dabei, dass es einfach eine Wonne war!
Und jetzt gute Nacht!

Dritter Bautag, 15. April:

Gestern habe ich ja schon geschrieben, dass der Tag nicht zu toppen ist, aber das muss ich revidieren! Heute war einfach schon wieder so ein wunderbarer, ereignisreicher und produktiver Tag. Ich glaube, ich kann im Namen von allen Teilnehmer/innen sagen, dass wir uns sauwohl hier fühlen und jede Minute des viel zu schnell verstreichenden Tages in uns einsaugen. Ich glaube auch, dass die Lust, wieder nach Deutschland zurück zu fahren, sich extrem in Grenzen halten wird!

Als Hilli und ich heute morgen zum Einkaufen fuhren und fröhlich eingeladen hatten, zeigte Hilli plötzlich auf den Hinterreifen und meinte: „Oh, ich glaube, wir haben ein Problem“. Da war doch tatsächlich eine Wegfahrsperre angebracht und ein fetter Strafzettel wegen Parkgebühr an der Frontscheibe. Sofort riefen wir unseren Held und Retter Azem an und schilderten ihm die Lage. Und nach ca. 5 Minuten kamen zwei Männer, entschuldigten sich und schlossen die Sperre auf. (Oh, so einen Azem wünscht man sich für so manche Lebenslage).

Während dessen ging es auf der Baustelle in rasenden Schritten voran, die Kinder beschwerten sich sogar über die Vormittagspause mit Snacks, weil es sie vom Arbeiten abhielt. Und nach einem super­leckeren Paprika-Hähnchen-Gericht bekamen wir sogar hohen Besuch vom Bürgermeister, der sich begeistert jede Baustelle ansah und selbst Bauklötze staunte darüber, dass die Kinder alle so selbständig arbeiten und die Erwachsenen nur kaffeetrinkend herumstehen. Nachmittags wurden uns 2 wunderbare Find­linge geliefert, deren Ablade-Platzier­manöver spannend anzuschauen war.

Auch heute gab es wieder viele fleißige bosnische Kinder und die Reckstangen wurden mit Kraftproben und Kunststücken eingeweiht.

Abends durften Nicklas und Eliah mit Azems Sohn zum Kickboxtraining und hinterher in die Moschee und Cevapcici essen, wie es sich für „richtige“ Männer gehört. Allerdings haben sie dafür verpasst, was wir Anderen erleben durften. Die Theatergruppe (in deren Theater wir ja untergebracht sind) haben uns eine derartig lustige Pantomime-Aufführung präsentiert, dass wir teilweise bis zu Tränen lachen mussten. Wir werden hier also rundherum auf’s beste „genährt“, sowohl kulinarisch, sozial, körperlich aktiv, als auch kulturell und sportlich!

Morgen bauen wir nur den halben Tag, da wir eine große Stadtführung bekommen. Dafür stehen die Kids sogar freiwillig früher auf, um noch länger arbeiten zu können!!!

4. Bautag, 16. April:

Heute bin ich wirklich brotfertig, wir haben wieder so viel erlebt, dass ich eigentlich mehrere Seiten füllen könnte.


Die Sonne weckte uns heute schon mit ihren warmen Strahlen und bescherte uns den Tag über manchen Schweißausbruch und Sonnenbrand. Wir starteten eine halbe Stunde früher und alle gingen hochmotiviert an die Arbeit. Mujo und ich begleiteten Eliah zur Polizeistation, um eine Verlustbescheinigung für seinen an der Grenze abhanden gekommenen Personalausweis zu bekommen und klapperten noch alle Baumärkte im Umkreis von 10 km ab, um 8x100er Schrauben zu bekommen, leider ohne Erfolg. Tati wurde ihr beim Boxspiel (wohlgemerkt, nicht auf der Baustelle!!) gebrochener Nagel fachmännisch geschient, (in dem Gebäude an der Baustelle befindet sich eine kleine Ambulanz), was mich darauf aufmerksam machte, beim nächsten Projekt auf die hübschen Nägel der Mädels vehement zu verzichten! Mit Murren beendeten die Kinder ihre Arbeit (wir wollten heute ja nur bis mittags bauen) für ein ganz besonders leckeres Mittagessen: es gab Palatschinken in salziger und süßer Variante.

Nach einer schnellen Dusche trafen wir uns an einer Moschee mit Azem und einem Stadt­führer, um die Stadt Travnik, in der auf sehr eindrückliche Weise zu erleben ist, wie die Kulturen des osmanischen Reiches, der Fran­ziskaner und der orthodoxen Christen, sowohl baulich, als auch in der Lebensart aufeinander­treffen. Wir durften eine der größten Moschee betreten, wo uns ein 20-jähriger Imam erzählte, Fragen beantwortete und sogar einen Koran­vers vorsang. Die Leiter der Touristik­behörde trafen auf uns, um uns ihre Dankbar­keit für das, was wir für Travnik tun, zu bekunden und dann wurden wir sogar noch auf Kosten der Stadt in ein herrliches Cevapcici-Restaurant am Fuße der riesigen Festung Stari Grad, direkt an der Plava Voda (Blaues Wasser) zum Essen eingeladen. Einige von den Kids bestiegen nach dem Essen mit Berni und mir die Burg und dann holte uns ein Bus ab, um uns zurück zur Herberge zu fahren. Der Stadtführer hatte uns am Anfang berichtet, dass wir in Travnik schon „berühmt“ sind, da es einen Artikel im Stadtblatt gab, und wir werden überall aufs herzlichste gegrüßt, sehr oft sogar auf stolz hervor­gebrachtem Deutsch.

Mir ist mal wieder aufgefallen, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass irgendeine deutsche Stadtgemeinde eine Jugendgruppe aus dem Ausland mit derartiger Ehre und Gast­freundschaft „umsorgt“, wie wir es hier erleben dürfen! Daran könnten sich die Deutschen unbedingt mal eine Scheibe abschneiden, oder auch mehrere!!!

Der fünfte und vorletzte Bautag, 17. April:

So, nun ist wieder ein langer, wunderbarer Tag zu Ende gegangen, schon unser vorletzter Bautag hier in Travnik.
Nachdem unser Geburtstagskind Ammelie mit Gesang und Kuchen/Kerze geweckt wurde, starteten wir pünktlich und motiviert auf der Baustelle.

Von oben

Es gab keinen, der nicht genau wusste, was er/sie heute zu tun haben würde. Das Wetter war leider nicht so angenehm, denn ab und zu fegte uns der Wind ganze Wolken von Staub in die Augen, so dass Emma heute Abend kaum mehr aus diesen herausschauen konnte. Aber auch das verhinderte nicht, dass die meisten stolz ihren verschiedenen Herausforderungen gerecht wurden, besonders Skadie und Emma hatten sich einen sehr verzwickten „Liegestuhl“ an der Feuerstelle konzipiert, den sie grandios zu ende brachten. Auch die organisatorischen Dinge liefen recht glatt: Eliah`s Verlust­bescheinigung konnte fertig bei der Polizei abgeholt werden, unser Bus war topp repariert worden für ein fünftel des Preises, den wir in Deutschland hätten zahlen müssen und es gab wieder herrliches Mittagessen und gaanz viel „Kaffa“ (ich glaube, einige Eurer Kids sind auf den Geschmack gekommen, sorry dafür).

Als ich gerade mit Hilli mal wieder einkaufen fahren wollte, sprang Joshua (mein Sohn) hilfesuchend ans Auto und meinte: „die Kids stürmen gerade den Spielplatz, ihr müsst die beschäftigen, sonst können wir nicht weiterarbeiten“. Und tatsächlich, plötzlich wuselte und kletterte es überall nur so, dass es eigentlich eine Wonne war, aber wir waren ja mit Maschinen überall zu Gange. Wir schnappten uns also die Kinder, gingen mit ihnen Müll und Holzreste zusammensammeln und dann zur Belohnung Spiele spielen. Mindestens 12 Kinder blieben den ganzen Nachmittag und schafften überaus tüchtig mit. Und gegen 17:00 Uhr trauten sich sogar einige ältere Jugendliche zu fragen, ob sie mithelfen dürfen. Hilli und Eliah Ritz verhalfen ihnen dann durch fachmännische Maschinenanleitung dazu, sich auch noch eingebracht zu haben und nach Baustellenende stolz vom Platz zu gehen. Zwischendrin beobachtete ich immer wieder gerührt, wie lebendig dieser Platz heute war und manch ältere Menschen auf den entstandenen Sitzgelegenheiten saßen und einfach „das Leben“ in sich aufsogen, was sich um sie herum abspielte. Allein für diesen Tag der Lebendigkeit und Begegnung, die der Platz ermöglicht hat, hat sich schon das ganze Projekt gelohnt!

Am Abend ging das Geburtstagskind noch mit einer kleinen, ausgewählten Gruppe Essen, während wir anderen in der Herberge das Abendbrot von „Himilli“ einnahmen. Die Abschlussrunde war sehr intensiv und schön und jetzt machen ein paar noch eine Nachtwanderung, da ich dem Geburtstags­wunsch, gemeinsam einen Horrorfilm zu schauen, leider nicht nachkommen konnte. Mal sehen, wie fit sie dann morgen am letzten Tag sind? Naja, ich sage ja immer: „schlafen kann man im Grab“!

Finale, 18. April:

Der Tag begann mit trübem Wetter und wir erwarteten Regen, der dann aber glücklicher Weise ausblieb. Am Nachmittag, pünktlich zur Einweihung brach die Sonne dann durch die Wolken und vertrieb sie sogar ganz, so dass alle gehörig ins Schwitzen gerieten.


Da gestern ein freiwilliger Trupp von hochmotivierten Kids länger gearbeitet hatte, konnten wir heute recht entspannt dem gigantischen Spielraum den letzten Schliff verpassen und die Berge von Fallschutz-Kies und schwarzem Sand (gewöhnungsbedürftig), die auf der Straße abgeschüttet und dann mit dem Bagger an die Plätze gebracht wurde, mit allen verfügbaren Schaufeln verteilen. Marie baute sogar noch eine große Holzkiste, in die sie liebevoll abgeschliffene Holzabschnitte füllte, damit die Kinder Bauklötze haben. Die Idee dazu entstand, als ich gestern ein kleines Kind dabei beobachtete, wie es eben mit den Holzabschnitten tolle Häuser und Türme baute.

Zum Mittagessen gab es Nudeln von unseren geliebten Köchinnen, denen wir zum Abschied jeweils ein Robinienherz mit „Danke-Chaos-Kids“ drauf und eine Packung MERCI übergaben.

Bis 17:00 Uhr wurde dann noch fleißig geschliffen, gestrichen, aufgeräumt, Müll gesammelt und noch mehr Kies und Sand verteilt. Die heranströmenden Kinder rannten, spielten und kletterten zwischen uns herum, was dazu führte, dass sich viele die Finger an der frischen Farbe versauten und unsere Kids irgendwann erschöpft und müde auf den gemütlichen Sitzgelegenheiten ausruhten und den neugierigen Fragen auf bemühtem Englisch, oder sogar Deutsch der Kinder Rede und Antwort zu stehen.

Um 17:00 Uhr erschien der Bürgermeister mit seinem Gefolge und noch mehr Menschen strömten auf den Platz. Ich habe tatsächlich nur einmal schon einen solchen Andrang auf einem Spielplatz erlebt und das war bei einem Projekt im größten Romaslum der Welt in Mazedonien. Wir wurden feierlich beschenkt und mit Dankesworten überschüttet und zum Cevape-Essen auf einem riesigen Grill eingeladen. Die Kinder spielten, die Erwachsenen filmten sie dabei und überall war fröhliches Lachen und Schreien zu hören. Ein aufgebrachter Hund kläffte die Drohne von Chrissi an und rannte wie verrückt über den ganzen Platz und wir zogen uns langsam zurück und nahmen Abschied von diesen ausgefüllten, anregenden, begegnungsreichen und einfach herrlichen Baustellentagen.

Nun sind alle rechtschaffen müde und freuen sich riesig auf 2 Tage in Sarajevo!

Mirjam Lampe

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Symbiose in Bosnien

Mujo Koluh ist der Mann hinter HEJ, aber auch unser Mann, der den Chaos-Kids in Bosnien zur Seite steht – mit Unter­stützung in Rat und Tat sowie Sprache.
Er blickt auf die Zusammenarbeit mit den Chaos-Kids zurück:

Im August 2023 nahm Mirjam Lampe, von ihren Freunden Milli genannt, per eMail Kontakt zum Aachener Netzwerk auf, den wir am nächsten Tag telefonisch ausbauten.

Die Chaos-Kids (Kinder und Jugendliche von 9 bis 17 Jahren) würden weltweit Spielplätze bauen und suchten erneut einen Platz in Bosnien und Herzegowina, um sich auszutoben. Da haben sie vor zwanzig Jahren in Sarajevo den ersten Spielplatz gebaut, und danach noch Dutzende weltweit, in Brasilien, Eritrea, Libanon und, und… Ob sie da bei uns richtig wären?

Milli (links) und Hilli (rechts)

Ein gutes halbes Jahr später, im März 2024, wurden die Chaos-Kids in Busovača aktiv, unterstützt durch HEJ und das Aachener Netzwerk. Man kann es fast Symbiose nennen, denn jeder machte das, was er am besten kann:
- HEJ (u.a. unsere HEJ-Lehrerinnen Emira und Mersiha) und das Aachener Netzwerk (besonders unser Vorstand Dr. Mujo Koluh, Anmerkung des Setzers) bereiteten alles vor Ort vor, stellten Kontakte her, sorgten für Unterkunft, Verpflegung (Danke nochmals an die HEJ-Eltern) und einen Ausflug nach Sarajevo sowie eine finanzielle Unterstützung von 1.500 € (die bei weitem nicht ausreicht, um das Projekt zu finanzieren).
- Die Chaos-Kids brachten Know-how mit, sorgten für Holz, Schrauben, Werkzeug, … und arbeiteten eine Woche lang von früh bis spät, bis der Spielplatz fertig war.

Der abschließende Bericht überzeugte davon, dass alle zufrieden, glücklich und erfüllt waren.

Abschluss in Busovača

Die schöne Zeit in Busovača wurde auf eine andere Weise im Juli 2024 beim World-Child-Forum in Davos fortgesetzt, als einige HEJ-Kids mit der Unterstützung des Aachener Netzwerks bei der Tagung von Kindern und Jugendlichen aus der ganzen Welt mit dabei sein durften. Ideengeber und Träger der Chaos-Kids und gleichzeitig auch Gründer des World-Child-Forums ist Bernhard Hanel, genannt Berni, der Ehemann von Mirjam Lampe.

In der Woche vor Ostern dieses Jahres war es wieder so weit. Die Chaos-Kids machten sich auf den Weg ins bosnische Travnik, wo der nächste Spielplatz entstehen sollte. Noch größer und schöner als der in Busovača. Mujo und seine beiden Söhnen waren schon vor Ort und wollten dieses Mal auch beim Bau helfen. Das Aachener Netzwerk unterstützte das Projekt wieder mit 1.500 €.

Für Verpflegung ist gesorgt

Wie jedes andere Projekt benötigt auch der Bau eines Spielplatzes solchen Ausmaßes eine gründliche Planung, viele, viele E-Mails und Telefonate und vor allem zuverlässige Partner vor Ort. In dem stellvertretenden Bürgermeister Azem Ejubovic wurde ein solcher gefunden, der nicht nur täglich vorbeikam (meist sogar mehrfach), sondern auch jeden unserer Wünsche auf dem schnellsten Weg erfühlen konnte. In entscheidenden Momenten wurde mehrmals ein Bagger zur Verfügung gestellt, fast 100 qm Sand besorgt, zwei mehrere Tonnen große Findlinge und alles, was die Chaos-Kids noch brauchten.

Der Spaß kommt nicht zu kurz

Darüber hinaus sorgte Azem für eine interessante Stadtführung, einen netten Empfang beim Tourismusbüro der Stadt, leckere Cevap­cici, brachte ein paar der Jungs zum Training in einen Travniker Sportverein, und, und, und. Dafür sind wir Azem und letztendlich auch der gesamten Stadtver­waltung von Travnik sehr dankbar!

Und die Chaos-Kids waren wieder mit vollem Enthusiasmus dabei – die täglichen Berichte von Milli zeigen es.

Von oben

Die Schaffung eines pädagogisch (und ökologisch) wertvollen Spielplatzes ist das Sichtbare, das die Chaos-Kids in einer Woche harter Arbeit erbaut und ihren gleichaltrigen bosnischen Freund*innen hinterlassen haben.

Am letzten Bautag

Gleichzeitig bauen sie aber unsichtbare Brücken zwischen den Kulturen, entwickeln und stärken bei allen Beteiligten soziale, emoti­ona­le, humanitäre, menschliche … und unzählige andere Kompetenzen und rüsten sich damit am besten für die Zukunft. In Zeiten, in denen gerade so viele brutale Kriege geführt werden, bei denen so viele Kinder leiden müssen und die echte Aufrüstung wieder in ist, ist es unbegreiflich wichtig, so viele Chaos-Kids zu haben wie möglich!

Mujo Koluh

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Dankesbriefe aus Travnik

Das Projekt in Travnik ist eines der Chaos-Kids, formal organisiert im „Zukunftsraum Weilersbach e.V.“. Deshalb gebührt ihnen der Dank, der ihnen in zwei Briefen des Bürgermeisters und seines Stellvertreters, der das Projekt von Seiten der Stadt koordinierte, ausgesprochen wurde:

Sehr geehrte Damen und Herren,

im Namen der Gemeinde Travnik und in meinem eigenen Namen möchte ich Ihrer Organisation mei­nen tiefen Dank für die Umsetzung des Baus des Kinder­spiel­platzes in Kalibunar aus­sprechen.

Ihr Engagement und Ihre Unterstützung sind für unsere Gemeinde von großer Bedeutung, insbesondere für die jüngsten Bürger, denen Sie einen schöneren und sichereren Ort zum Spielen ermöglicht haben. In einer Zeit, in der solche Initiativen eher Seltenheit sind, hat uns Ihre Geste aufrichtig gefreut und eine starke Botschaft gesendet. Gute Menschen und edle Taten kennen keine Grenzen.

Azem Ejubović, Kenan Dautović und Bernhard Hanel

Wir hoffen aufrichtig, dass der Bau des Kinderspielplatzes auf Kalibunar die Grundlage für ge­meinsame zukünftige Projekte darstellt, durch welche wir gemeinsam bessere Lebensbedingungen für alle Mitbürger schaffen werden, insbesondere unsere jüngsten.

Noch einmal möchte ich Ihnen im Namen der Gemeinde Travnik aufrichtig für Ihre edle Initiative danken und für alles, was Sie für unsere lokale Gemeinschaft getan haben.

dr. sci. Kenan Dautović
Bürgermeister

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte mich in meinem eigenen Namen, aber auch im Namen vieler Eltern und Kinder, aufrichtig für Ihre selbstlose Hilfe und Unterstützung beim Bau des Kinderspielplatzes im Stadtteil Kalibunar in Travnik bedanken.

Ihr großzügiger Beitrag zu diesem Projekt ist nicht nur materieller Natur, sondern geht weit darüber hinaus. Sie haben gezeigt, dass alle Kinder, unabhängig davon, wo sie leben, eine gesunde, glückliche und sichere Kindheit verdienen. Durch Ihren selbstlosen Einsatz und Ihre Motivation ist der jahrelang vernachlässigte Spielplatz heute zu einem Ort geworden, an dem Kinderlachen wieder erklingt und Erinnerungen entstehen, die die Kinder ein Leben lang begleiten.

Sie haben unserer gesamten Gemeinschaft neue Energie verliehen und uns daran erinnert, dass Freundlichkeit keine Grenzen kennt, egal wie groß sie sind.

Ich danke Ihnen von ganzem Herzen, dass Sie unsere Bedürfnisse erkennen und unseren Kindern den Raum voller Spiel und Lachen geben, den sie wirklich verdienen.

In der Hoffnung, dass wir in Zukunft wieder die Gelegenheit haben, Sie bei uns zu Gast zu haben und gemeinsam schöne Geschichten zu schreiben, grüße ich Sie herzlich.

Azem Ejubović
Projektkoordinator und stellv. Bürgermeister

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Zwischen Bosnien und Kroatien

Unsere Freundin Helga Lenz von der Huma­nis­tischen Union in Lübeck war vom 22. bis 30. März in der Grenz­region von Bosnien-Herzego­wina und Kroatien unter­wegs.

Hautnah kann sie deshalb für das Aachener Netzwerk über die Situa­tion von Geflüch­teten und die Arbeit von SOS Bihać berichten:

Die Balkanroute ist ruhiger geworden. Während im Jahr 2018 noch Hunderte Geflüchtete auf einer Wiese nahe der kroatischen Grenze bei Velika Kladuša kampierten, kommen heute durchschnittlich etwa 30 Menschen pro Woche in der Region an. Doch obwohl die Zahl der Ankommenden zurückgegangen ist, bleibt die Lage für viele von ihnen prekär – besonders für jene, die nach gewaltsamen Pushbacks aus Kroatien zurückkehren oder bei schlechtem Wetter weiterziehen müssen.

Lokale Unterstützung in Kladuša

In der Grenzstadt Kladuša hat Alma, eine engagierte Lehrerin, 2018 eine kleine NGO zur Unterstützung Geflüchteter gegründet. Sie versorgt die meist jungen Männer aus Afghanistan, dem Irak oder Nordafrika mit Lebensmitteln, Kleidung und Schlafsäcken. Viele von ihnen bleiben nur eine Nacht – dann versuchen sie (erneut), die Grenze zu über­queren oder machen sich auf den Weg ins EU-finanzierte Camp Lipa.

Alma begleitet auch Geflüchtete, die längere Zeit in der Region bleiben – darunter auch Rückgeführte aus anderen EU-Staaten. Ihre Hilfe ist oft die einzige, die verfügbar ist.

Die Situation in Bihać

2023 schon gab es Hochwasser in der Region um Bihać. Auch nun regnet es wieder seit Tagen ununterbrochen. Die Wege sind aufgeweicht und der Fluss Una droht weiter überzutreten. In den Medien stehen derzeit überflutete Keller und zerstörte Straßen im Vordergrund. Geflüchtete sind fast unsichtbar geworden – nur vereinzelt stehen sie am Busbahnhof oder vor Einkaufszentren.

Die wirtschaftlichen Strukturen, die sich einst um die Fluchtbewegung gebildet hatten, sind weitgehend zusammengebrochen: Kleine Geschäfte stehen leer, Schlafsäcke und warme Kleidung werden nicht mehr verkauft. Azim, früher Ladenbesitzer und Treffpunkt für Geflüchtete, ist inzwischen in Rente. Sein Laden dient jetzt als Lager für Hilfsgüter. Er fährt regelmäßig nach Lipa, versorgt Durch­reisende mit Lebensmitteln und gebrauchten Handys – wichtig für die Orientierung auf der Flucht.

Eine SIM-Karte ist überlebenswichtig, da kroatische Grenz­poli­zisten regelmäßig Handys zerstören. Freiwillige Helfer, die früher in der Region präsent waren, sind kaum noch da. Heute sind Einkaufszentren und Neubauten auf der Wiese, auf der früher Zelte von Geflüch­teten standen. Viele junge Bosnier*innen haben das Land verlassen – in Bussen fahren diese Arbeitsmigranten direkt von Bihać nach Österreich, Deutschland oder in die Schweiz.

Camp Lipa – viel Platz, wenig Menschen

Das Camp Lipa, 25 Kilometer von Bihać und 80 km von Kladuša entfernt, liegt auf einem abgelegenen Berg und bietet Platz für 1.485 Personen. Zur Zeit leben dort gerade einmal rund 150, im Sommer ca. 300 Menschen. Viele reisen schnell weiter – nach Italien, Spanien, Frankreich. Deutschland gilt, aufgrund der großen Anzahl ukrainischer Kriegsflüchtlinge unter Geflüchteten als „überfüllt“. Die Grenzüberwachung in Kroatien ist mit neuen Fahrzeugen, Drohnen, Geländewagen und Wärmebildkameras weiter aufgerüstet worden. Rund 100 Millionen Euro sind in die Grenz­sicherung von Kroatien und Serbien geflossen – etwa 80 Prozent davon in technische Grenzausstattung.

Camp Lipa

Bis 2022 wurde das Camp von der europä­ischen Internationalen Organisation für Migration – IOM aufgebaut und geführt, jetzt hat der bosnische Staat die Leitung übernommen. Das Lager ist für Außenstehende, Presse etc. nur mit Genehmigung des Innenministeriums möglich – und das dauert. Der Polizist am Eingang, der schon seit dem Aufbau dort arbeitet, schreibt über jeden, der in der kroatischen Grenzregion bei Pushbacks verletzt wird, einen Bericht an das Innenministerium. Ohne Reaktion, ohne Konsequenzen. Nach seinem Eindruck sind die gewaltsamen Pushbacks weniger geworden. Dies mag an der geringen Anzahl der Flüchtlinge und an dem Beitritt und der Verwarnung der europäischen Union liegen.

Zuflucht im Rohbau

Etwa zehn Kilo­meter vor der Grenze dient ein zweistöckiger Roh­bau seit 2019 als Notunterkunft. Der Besitzer lebt in Österreich und duldet die Nutzung.

In diesem Rohbau bekommen bis zu 20 Personen auf ihrem Weg zur Grenze Unterschlupf. Sie hinterlassen Matratzen, Decken, Kochtöpfe mit wenigen Lebensmitteln – und bereiten den Ort für die Nächsten vor. Helfer wie die von SOS Bihać besuchen den Ort regelmäßig.

SOS Bihać – Flut und Flüchtige

Laut Zlatan, dem Gründer von SOS Bihać, sind etwa zehn Helfer*innen bei SOS Bihać aktiv. Das Material- und Medikamentenlager im Haus des Aachener Netzwerks, das von SOS Bihać genutzt wird, ist gefüllt. Der Fuhrpark besteht derzeit aus einem Allradfahrzeug, einem Krankenwagen und einem Transporter. Außerdem wurde ein Bagger abgeschafft, der vor zwei Jahren beim Hochwasser zum Einsatz kam. Der Klimawandel ist auch hier deutlich spürbar. Auch jetzt, im März 2025, ist SOS Bihać wieder im Einsatz gegen das Hoch­wasser aktiv. Zlatan leitet den Krisenstab.

Weiterhin unterstützt SOS Bihać die Poliklinik und das Krankenhaus, die nur über einen Krankenwagen verfügen. Insbesondere Ver­letzte aus dem Camp Lipa werden transportiert.

Außerdem kümmert sich SOS Bihać auch um hilfsbedürftige Bewohner. Am Nachmittag erreicht Samir, einem Helfer von SOS Bihać, ein Anruf: Ein alter Mann, ein Kriegsveteran, braucht dringend Hilfe. Er hatte monatelang in Zügen geschlafen, bis ihn zwei andere ältere Männer bei sich aufnahmen. Nun hat er starke Schmerzen in Armen und Beinen, benötigt dringend medizinische Versorgung und eine feste Unterkunft.

Das SOS Haus

Eine vom Aachener Netzwerk 2020 gekaufte ehemalige Pension wird von SOS Bihać genutzt. Mitarbeiter Samir wohnt dort während der Renovierung seines eigenen Hauses. Ab und zu übernachten Familien für eine Nacht, bevor sie ins Familiencamp weitergeleitet werden. Drei Geflüchtete, die in Bosnien bleiben wollen, fanden hier zeitweise Unterkunft – zwei von ihnen haben inzwischen eigene Wohnungen.

Aktuell lebt Emeke, ein Geflüchteter aus Nigeria, im Haus. Er gehört zum Stamm der Oba. Seine Familie wird verfolgt, weil sie mit der Regierung in Verbindung gebracht wird. Seine Mutter war kürzlich inhaftiert. Emeke arbeitet in der Küche einer Öko-Lodge. Mit Unterstützung von SOS Bihać will er dauerhaft in Bosnien bleiben und hofft auf eine Familien­zusammenführung – möglich frühestens nach fünf Jahren Aufenthalt.

In den vergangenen 5 Jahren, hat sich am Haus ein Reparaturstau gebildet, der bei dem starken Regen deutlich sichtbar wird. Dach, Fallrohr, Fenstertür, Balkongeländer und ein Leck im Badezimmer müssen dringend repariert werden. Vor einem Fachmann wurden die Schäden aufgenommen um bei besserem Wetter mit den Außenarbeiten zu beginnen. Das Bad wurde sofort stillgelegt und die Dusche entfernt.

Das Projekt „Land of Hope“

Das Projekt „Land of Hope“ ist eine Kooperation des Vereins Space Eye mit SOS Bihać. Es liegt in Ripač, rund 8 Kilometer von Bihać entfernt, und soll langfristig neue Perspektiven für Geflüchtete bieten. Die Gemeinde hat SOS Bihać ein rund 40.000 m² großes Stück Land zur Verfügung gestellt – unter der Auflage, es zu kultivieren. Strom und Wasser sind vorhanden, ebenso zwei Container und ein kleines Holzhaus mit Stromanschluss.

Teile des Landes sind bereits gerodet, zwei Gewächshäuser stehen – eines davon ist jedoch vom Sturm zerstört worden. Da nur bei erfolgreicher Ernte staatliche Fördermittel gezahlt werden, blieb die Unterstützung im letzten Jahr aus. Zlatan plant nun einen neuen Versuch und benötigt 300 Euro, um neue Plastikplanen für das beschädigte Gewächs­haus zu kaufen.

Resümee

Die Fluchtrouten haben sich verschoben. Viele Menschen versuchen mittlerweile über Serbien oder weiter südlich in die EU zu gelangen. Die Region um Bihać und Kladuša ist nicht mehr der Hauptkorridor, liegt aber weiterhin auf einem der Wege nach Europa. Geflüchtete sind auch dadurch weniger sichtbar geworden, doch ihr Leid ist nicht verschwunden. Die Route mag sich verschoben haben – das Recht auf Schutz aber bleibt bestehen.

Helga Lenz, Humanistische Union OV Lübec

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