Interview: Anke Langenberg

In unserem letzten Rundbrief haben wir eine Reihe von Interviews gestartet. Dieses Mal unterhalten wir uns mit einem neuen Mitglied des Aachener Netzwerks: Anke Langenberg.

Helmut Hardy (HH): Anke, du bist seit zwei Monaten Mitglied im „Aachener Netzwerk für humanitäre Hilfe und interkulturelle Friedensarbeit e.V.“. Wie bist du dazu gekommen?

Anke Langenberg (AL): Ich habe damit gerechnet, dass du das fragen würdest, denn ich werde immer wieder danach gefragt, seitdem ich in den Verein eingetreten bin. Ehrlich gesagt, hatte ich bisher keine Antwort parat, die ich in Kürze hätte geben können und jetzt, wo sich mein Bild von der Arbeit festigt, verstehe ich, warum es so schwierig ist, eine kurze Antwort zu formulieren. Es ist die Komplexität der Aufgaben und Ereignisse. Ich habe deine Posts und E-Mails, die mir schon vor meinem Eintritt zugesandt wurden, stets aufmerksam gelesen und es stellte sich schnell das Gefühl ein, dass sich hier Menschen zusammenfinden, die in guter Absicht etwas voran bringen. Auch wenn du es nicht hören willst, Helmut, es ist ein bisschen auch das Vorbild der Familie Hardy, das mich inspiriert hat. Seit Jahren unterstützt ihr eure erweiterte Familie in unkomplizierter Weise. Das schafft Vertrauen. Ich arbeite als Lehrerin an einer Hauptschule und habe dort mit vielen wunderbaren jungen Menschen aus den verschiedensten Ländern Europas und der Welt zu tun und ich sehe, dass die Unterstützung, die Professionelle im Rahmen ihrer beruflichen Möglichkeiten geben können, längst nicht ausreicht. Als im Februar nun der Aufruf kam, dass ein Hilfstransport nach Bihać organisiert werden sollte und Leute zum Packen gesucht wurden, motivierte mich meine Tochter Franka, mitzumachen. Sie sagte ohne zu zögern zu und ich klinkte mich ein. Die Aktion hat mir viel Freude bereitet. Alles war super vororganisiert und auf unerklärliche Weise unkompliziert. Vielleicht lag es auch hier wieder an den Menschen, die sich für die Aktion zusammentaten. Wir kannten einander nicht und doch lief alles wie geschmiert. Als die vielen Kartons tatsächlich in Bosnien eintrafen, wäre ich am liebsten hingefahren und hätte gerne mit ausgeladen. Es sind Erlebnisse wie diese, die mich berühren. Ich habe 2018 in Namibia in einer Suppenküche gemeinsam mit meiner namibischen Freundin Erica und anderen Helfer*innen Essen an bedürftige Kinder in Katutura, einem Township in Windhoek, verteilt. Damals fühlte ich mich ähnlich. Erica zögert nicht, sie handelt. Ich mag die Verbindung zu Menschen, die sich tatkräftig für Zivilgesellschaft engagieren.

HH: Da rechnen wir uns zweifellos dazu. Gab es noch weitere Gründe?

AL: Ja, es gibt noch einen weiteren Punkt, der meine Überlegung dem Verein beizutreten etwas diffus beflügelte. Es ist das Thema Europa. Ich habe die kriegerischen Bilder von der Serie der Kriege auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien noch erschreckend gut im Kopf. Den Verein „Aachener Netzwerk“ habe ich immer in Zusammenhang mit einem friedlichen, vereinigten Europa gesehen. Die Projekte „Flame for Peace“ und „Bina Mira“ setzen seit Jahren ein Zeichen für Verbundenheit in Europa. Es ist die Idee der Vernetzung, die mich motiviert. Mit dem Namen „Aachener Netzwerk für humanitäre Hilfe und interkulturelle Friedensarbeit“ kann ich mich 100 %ig identifizieren. Ich fühle mich als Aachenerin, bin weltweit durch Freunde und Familie vernetzt und verbunden und entsprechend an globalem, interkulturellem Austausch interessiert. Ich wünsche mir eine humane und friedliche Welt, denn Gewalt und Krieg sind in meinem inneren Programm nicht angelegt. Mir ist es unbegreiflich, dass Menschen sich bewusst Gewalt antun, denn meine Erfahrungen sind durch mein friedvolles Aufwachsen in einem Teil Europas, in dem seit 70 Jahren Frieden herrscht, positiv geprägt. Wenn die Ursachen in den Vorprägungen der Menschen liegen, muss man hier ansetzen und das bedeutet, sich zu verbinden und humanitäre Hilfe zu leisten. Das möchte ich unterstützen!

HH: Nun ist es ja oft nicht leicht, sich in einen gewachsenen Verein einzufinden. Wie empfindest du es?

AL: Gut, dass du das ansprichst. Ich habe mich tatsächlich schwer getan. Corona und die damit verbundenen Einschränkungen haben die Situation nicht gerade erleichtert. Mir fehlte die Motivation für die Online-Treffen. Ich blockierte tagsüber mit meiner beruflichen Arbeit den Wohnzimmertisch, mein Englischkurs, meine Systemische Weiterbildung, alles lief über Zoom oder Skype und irgendwann wollte ich Ruhe in meinem Haus haben, mit der Familie zusammen kochen, spielen und einfach mal Freude haben. Ich las die Protokolle und mir fehlte der Punkt an dem ich andocken konnte. Alle wirkten kompetent, wissend, schon lange miteinander verwoben. Ich fühlte mich irgendwie außen vor und hatte zunächst keine Idee, wo ich etwas tun konnte. Dann entstand die Facebook-Seite und ich beobachtete, was sich hier bewegte. Ich weiß, dass man selbst etwas tun muss, um aus Situationen, in denen man festhängt, herauszukommen. Ich überlegte mir, dass zur Vollständigkeit auch Instagram als soziales Medium eine Möglichkeit sein könnte, um auf die Vereinsarbeit und die Menschen auf der Flucht in den Wäldern Bosniens aufmerksam zu machen. Mit eher mäßigen Instagram-Kenntnissen wagte ich es, meine Unterstützung anzubieten und die Seite anzulegen und zu bespielen. Seither hat sich meine Blockade gelöst und die Ferien sowie die wiedererworbenen Möglichkeiten sich auch live zu begegnen haben mich nun noch näher an die Arbeit im Verein herangeführt.

HH: Was findest du an der aktuellen Arbeit … spannend? wichtig?

AL: Ehrlich gesagt freue ich mich über und auf die Begegnungen mit euch Aktiven und auf die Aktionen, bei denen ich meine Hände nutzen kann. Die zwei Treffen, denen ich bisher beigewohnt habe, waren spannend, aber auch erstmal hilfreich, um mir ein Bild zu machen. Dirk Planert berichtete sehr bewegend von seinen einstigen Erlebnissen in Bosnien und über die aktuelle Arbeit von Zlatan und SOS-Bihać vor Ort. Der Nachmittag war aufwühlend, zugleich aber auch motivierend für die kommenden konkreten Hilfsaktionen. Unser letztes Treffen war für mich wirklich besonders, denn hier zeigte sich die Arbeit des Netzwerkes eindrucksvoll. Erstmalig registrierte ich, wie viele Verbindungen der Hilfe sich bereits ergeben haben. Heinz Jussen brachte anlässlich des Gedächtnisses an das Massaker vor 25 Jahren in Srebrenica Zeitungsberichte von seinem damaligen Hilfsgütertransport nach Bosnien, zur eingekesselten bosnischen Stadt Tuzla, mit. Heinz ist Gründungsmitglied des Vereins. Er berichtete an diesem Abend in aller Ruhe und Stille von seinen Erlebnissen. Verbunden mit den eindrucksvollen Erzählungen von Dirk einige Tage zuvor wurde mir mit aller Deutlichkeit bewusst, dass ein Krieg auf europäischem Boden niemals wieder geschehen darf! Der Verein verdient den Namen wegen seiner Wurzeln in der so wichtigen Friedensarbeit und humanitären Hilfe auf allen Ebenen! Bisher passiert ganz viel in meinem Kopf. Ich hoffe, dass ich bald mit meinen Händen helfen und handeln kann.

HH: Der Verein hat eine lange Historie, er ist mehr als ein Vierteljahrhundert alt. Sind die Themen nicht schon lange überholt?

AL: Die Themen werden niemals überholt sein. Ich glaube, wenn wir nicht endlich anfangen zusammenzuhalten und gemeinsam für Europa und für den Frieden auf der Welt einstehen, uns verbunden fühlen und für jeden, der humanitäre Hilfe braucht, etwas tun, dann zerfällt die europäische Idee in viele kleine starre Miniaturen. Wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht und nicht mehr auf das große Ganze schaut, dann hilft das auch denjenigen nicht, die sich kleinbürgerlich abgrenzen. Ich denke, die Arbeit ist gerade im Moment, wo Menschen in absurder Weise bedroht werden, ganz besonders wichtig.

HH: Und dann noch die übliche Frage aus dem Bewerbungsgespräch: Wo siehst du den Verein in 5 Jahren?

AL: Hm. Das beantworte ich in einem Jahr, wenn hoffentlich Corona unser Leben weniger bestimmt als zur Zeit. Heute kann ich nur sagen, was ich mir wünsche. Ich wünsche mir eine friedliche und kontroverse Auseinandersetzung, ich wünsche mir Verbundenheit mit noch viel mehr anderen Projekten und Vereinen und ich wünsche mir, dass wir Oldies viele junge Menschen für unsere Arbeit gewinnen werden. Vielleicht kann ich helfen, Ideen gerade dafür zu schmieden, denn als Lehrerin kenne ich die Bedürfnisse der Jugend. Aktuell freue ich mich auf die Vorbereitung des nächsten Hilfstransports nach Bihać und auf die Treffen mit euch nach den Ferien.

HH: Was möchtest du mit dem Verein erreichen?

AL: Da gibt es etwas, was im Moment wenig erreichbar zu sein scheint, denn ich wünsche mir, dass Transporte nach Bihać oder sonst wohin irgendwann nicht mehr notwendig sein werden und die Europäische Gemeinschaft etwas für die vielen Geflüchteten in oder außerhalb der Grenzen Europas tut. Ich wünsche mir, dass im Mittelmeer kein Mensch mehr ertrinken muss und die Not und die Kriege auf der Welt ein Ende finden. Für unsere Arbeit als Verein wünsche ich mir, dass wir einen Beitrag für all das leisten können.