Der erste Tag in Bihac

Montag, der 4. November 2019

Heute sind wir in der kroatischen Hauptstadt Zagreb gelandet.
Nach einem 3-stündigen Aufenthalt in der Stadt (Besichtigung der Sehenswürdigkeiten: Hauptmarktplatz, Kathedrale und Altstadt, kleines Mittagessen) haben wir uns mit einem PKW auf den Weg nach Bihac gemacht, wo wir dann 3 Stunden später gut und unversehrt angekommen sind. Nach dem Abendessen gingen wir gegen Mitternacht ins Bett.

Der morgige Tag verspricht arbeitsam und abenteuerlich zu werden.

Dienstag, der 5. November 2019

Nach dem Frühstück in unserer Unterkunft wurden wir von Herrn Selam Midzic, dem Chef des Roten Kreuz in Bihac, um 10:00 Uhr abgeholt. Unser Ziel: Camp Vucjak.
Trotz der Wettervorhersage schien heute morgen die Sonne ordentlich warm, der Himmel war blau – alles freundlich und friedlich. Über ganz Bihac spannte sich ein großartiger Regenbogen aus. Alles sah etwas unwirklich aus.
Wir verließen die Stadt und folgten der Straße Richtung Bergzug Pljesevica und Vucjak, das auf ca. 1131 m Höhe liegt. Dort, im Westen, verläuft auch die von den Migranten heißbegehrte kroatische Grenze.

Man konnte, aus der Stadt kommend, über Vucjak schon von weitem dunkle Wolken erkennen. Aufgrund des Höhenunterschieds herrschen dort andere Wetterbedingungen. Die Straße schlängelt sich lange unterhalb des vor uns stehenden Riesengebirges, bis sie uns schließlich nach Vucjka führt. Der Himmel ist dunkel. Die Färbung der Bäume wird herbstlicher, je näher wir an das Gebirge kommen. Vor uns eine bedrohende, dunkle Kulisse mit einem riesigen, auf den ersten Blick unüberwindbaren, mit dunklen Bäumen bewachsenen Berg.
Vor uns die Dunkelheit, hinter uns Bihac – in heller, warmer Sonne, umspannt von einem noch nie gesehenen Regenbogen.

Wir sind gespannt.

Wir kommen in Vucjak an. Ein starker Wind weht und es beginnt ein wenig zu regnen. Wir sind überwältigt vom ersten Anblick. Wir sind wirklich in Vucjak angekommen! Der Anblick, der sich uns bietet, ist nicht einfach zu verarbeiten.
Zahllose Zelte, unzählige Menschen, schlammige Wege, Müll…

Vor uns eine endlose Schlange, in welcher sich heute morgen mehr als 500 Migranten zur Essensausgabe aufgereiht haben.

Es ist 10:30 Uhr. Die Ausgabe des Frühstücks beginnt – draußen Es gibt Hafersuppe.
Die 3 Helfer des Roten Kreuzes Bihac sind schon startbereit. Unsere Praktikantinnen packen sofort mit an. Der Regen wird immer stärker, die Essensausgabe muss in das Zelt verlagert werden. Es werden immer 5 Personen vorgelassen, um die Ordnung zu bewahren….

Es dauert ca. eine Stunde bis auch die letzte Kelle Suppe ausgegeben wurde. Aber es sind immer noch welche da, die nichts bekommen haben.
Für sie gibt es dann Reservenahrung aus der Dose. Es wird schon darauf geachtet, dass alle auch wirklich was zu essen bekommen.

Kurz nach halb 12 machen wir uns auf den Weg zurück in die Stadt.
Alles geschah so schnell – unser erster Aufenthalt in Vucjak.

Wir sitzen im Auto, sind alle überwältigt von dem was wir gesehen haben.
Von der großen Not, der Hilfsbereitschaft der Helfer vor Ort, von der Kompromisslosigkeit mit welcher die Migranten den Aufenthalt in diesem Camp auf sich nehmen – die EU als Ziel vor Augen. Im Camp herrschen verschiedene Krankheiten – die häufigste ist Krätze. Auch Hepatitis und Tuberkulose sind leider keine Seltenheit. Viele minderjährige Jungs sehen wir.

Die Emotionen überkommen uns. Man muss es zulassen, darf aber daran nicht hängen bleiben.
Während es auf Vucjak, das wir vorerst hinter uns lassen, regnet und stürmt, empfängt uns Bihac in strahlender Sonne.

Wir besuchen die Lagerräume des Roten Kreuzes, wo morgen auch der LKW mit unserer Hilfslieferung ankommen wird.

Das Personal vor Ort empfängt uns sehr freundlich. Die Leiterin feiert Geburtstag, so bekommen wir alle sofort Kaffee und Kuchen serviert.

Um uns herum viele Kartons, aber auch viele unsortierte Ware.
Die Mädels stehen auf und wollen sich nützlich machen, fragen ob sie helfen können, fangen an die Ware gemeinsam mit Leila zu sortieren. Sie kennen sich eben aus nach 4 Wochen in der Sammelstelle auf der Stolberg Straße.

Alle bosnischen Kollegen sind beeindruckt von ihrer Hilfsbereitschaft und dem Fleiß. Für uns keine Überraschung, denn in Aachen haben sie schon 2 Tonnen Hilfsgüter sortiert und verpackt.

Ich als Projektleiterin bin stolz sie an meiner Seite zu haben!

Um 14:00 Uhr kehren wir wieder nach Vucjak zur Ausgabe des Mittagessens. Der Wind weht jetzt noch stärker und es regnet kräftiger.

Es gibt Weißkohl-Kartoffelsuppe mit Fleisch.

Voller Tatendrang packen Khira, Sylvia und Ingrid wieder an.

Ich erfahre viele Geschichten von den Helfern und Migranten selbst. Wo wollen sie hin, wie lange sind sie hier, wie oft habe sie es versucht über die Grenze zu kommen, wie lange sind sie überhaupt schon auf dem Weg????

All das kann man nicht in wenige Worte fassen. Ich brauche Zeit um alles zu verarbeiten, Khira, Sylvia und Ingrid auch.

Um 16:00 Uhr kommen wir zurück aus dem Lager. Wir sind noch voller Eindrücke, brauchen Zeit um diese zu verarbeiten.
Wir schweigen und verabreden uns zum Abendessen.

Das war die letzte Mahlzeit für die Flüchtlinge für heute. Gleich fahren auch die Helfer zurück in die Stadt. Die Polizei wird in der Nacht zwischen 100 Zelten Wache halten.

Es gibt wohl viele die sich heute Nacht wieder auf den Weg machen werden – in die Berge, Richtung Kroatien und dann weiter nach Italien, Frankreich, Spanien – wenn sie es denn schaffen.

Morgen für uns auf dem Programm:
– Besuch der Großküche
– Besuch des Camp Bora, wo Familien und Kinder untergebracht sind
– Empfang des Transport-LKWs
– Einkauf der benötigten Güter (Nahrung, Brot…)

Liebe Grüße

Giana