Rundbrief 49 – Mai 2024

Inhalt:

Quick, but not dirty

Es ist Sonntag und die Sonne scheint. Gestern war ich noch im Urlaub. Da, wo zahlreiche Menschen mit dem Schlauchboot die Passage nach England versuchen. Dover war nur bei gutem Wetter zu sehen. Wir haben ein paar Segelboote gesehen, keine Schlauchboote. Aber im Hinterkopf hatte ich schon, dass in der Nacht bestimmt wieder einige die gefährliche Überfahrt riskieren werden.

Unsere Ausstellung „Menschenrechte an den Außengrenzen der Europäischen Union“ beschäftigt sich mit diesem Thema. Ein Thema, das häufig zu kurz kommt, wenn wir an das vereinte Europa denken.

Glücklicherweise ist es nicht nur das Aachener Netzwerk, das sich mit diesem Thema befasst.

Und es ist nicht unser einziges Thema.

An der Ostgrenze der EU ist Krieg, ein grausamer Krieg. Nicht quick, aber dirty. Oft wird vergessen, wie sehr Menschen darunter leiden. Unser Verein arbeitet gegen das Vergessen (oder Verdrängen?), aber für die Menschen vor Ort. Gregory Blaida schreibt über die Anschaffung einer Anlage, um Brennstoffbriketts herzustellen. Ein Projekt, das wir uns einfacher und schneller vorgestellt hatten.

Einfacher war unser Buchprojekt. Hunderte Bücher haben wir nach Bosnien gebracht, damit in Busovača besser Deutsch gelehrt und gelernt werden kann. Mujo Koluh hat seine Pfingstferien dafür geopfert.

Vor 7 Jahren habe ich den ersten Rundbrief für das Aachener Netzwerk verfasst. Die meisten waren länger als dieser. Und für alle habe ich länger gebraucht. Aber Länge ist ja nicht alles, oder?

Helmut Hardy, 1. Vorsitzender

Tipp:

Die Aachener Gruppe von terre des hommes zeigt vom 5. bis 26. Juni 2024 in der Hauptstelle der Sparkasse Aachen die Ausstellung „Kinderrechte an den EU-Außengrenzen“

Oben

Endlich, nach 6 Monaten:
Die Brikettieranlage ist am Ziel!

Es war ein schwieriges und langfristiges Projekt, dessen Idee im vergangenen Herbst entstand, das jedoch erst im Mai umgesetzt werden konnte. Der Kauf und der Transport einer Anlage zur Herstellung von Brennstoffbriketts für die Bewohner von ukrainischen Siedlungen an der Front erwies sich als schwierige Aufgabe. Allein die Verhandlungen mit dem Ausrüster dauerten mehr als drei Monate. Aber nun ist die lebenswichtige Brikettieranlage endlich am Ziel. Am 18. Mai begann die Installation eines Systems, das das Leben in der teilweise zerstörten Region der Ukraine vereinfachen soll.

Die Idee, der Gemeinde Siwersk, die an der Front der Ukraine liegt, zu helfen, war nicht spontan. Im vergangenen Sommer half das Aachener Netzwerk den Bewohnern der Kriegsregion mit Wasseraufbereitungsanlagen. Ab Mai 2022 mangelt es der Gemeinde am Nötigsten: Es gibt keine oder nur eine schlechte Versorgung mit Strom, Wärme und Trinkwasser. Die Region ist teilweise zerstört und die Überreste werden täglich beschossen. Bereits im vergangenen Herbst äußerten die Bewohner der Gemeinde Siwersk ihren Wunsch an uns: Wenn möglich, eine Anlage zur Herstellung von Brennstoffbriketts zu kaufen. Sie wird das ganze Jahr über nützlich sein: Im Winter hilft sie beim Aufwärmen und im Sommer liefert sie Brennstoff zum Kochen.

Schematische Darstellung der Anlage zur Herstellung von Brennstoffbriketts

Die Ausrüstung ist recht spezifisch: Nur wenige Unternehmen verkaufen sie in der Ukraine, das größte davon ist „Technomashservice“ mit Sitz in der zentralukrainischen Stadt Tscherkassy. Die Brikettierlinie besteht aus vier Elementen: der Brikettiermaschine EcoPress BR-50, dem aerodynamischen Trocknungskomplex CA 400, dem Hammerbrecher Chopper 400 und dem Hacker Crusher 700. Die Rohstoffe für die Herstellung von Brennstoffbriketts sind Holzabfälle, trockene Blätter und sogar Altpapier. Das System mahlt Abfälle, trocknet sie und presst sie zu Standard-Brennstoffbriketts, deren Effizienz viel höher ist als bei herkömmlichem Brennholz. Oleksiy Vorobyov, Leiter der Militärverwaltung von Siwersk, stellt fest: Durch fehlende Haushaltsmittel wäre die Gemeinde nicht in der Lage, diese Ausrüstung selbst zu kaufen.

Im November hat das Aachener Netzwerk Verhandlungen mit der Firma „Technomashservice“ aufgenommen. Es stellte sich sofort heraus, dass die Manager des Unternehmens keine Erfahrung in der Zusammenarbeit mit ausländischen Organisa­tionen hatten. Das Problem bestand darin, dass das Unternehmen keine Zahlungen in Euro aus Deutschland erhalten konnte. Über zwei Monate lang versuchten Anwälte, eine Möglichkeit zu finden, den entsprechenden Vertrag auszuarbeiten und den geforderten Betrag zu erhalten. Die Kosten für die Ausrüstung betrugen etwa 32.000 Euro.

Während die Verhandlungen andauerten, verschlechterte sich die humanitäre Lage in Siwersk allmählich. Der Beschuss der Stadt hörte nicht auf, die Bewohner im erwerbsfähigen Alter zogen größtenteils in sicherere Regionen der Ukraine ab. Mittlerweile leben nur noch 1.050 Menschen in der Stadt – das sind nur ein Zehntel der Bewohner vor Beginn des russischen Überfalls im Jahr 2022. Unter den Gebliebenen sind 600 Menschen über 60 Jahre, etwas mehr als 100 Menschen mit Behinderungen, mehrere Dutzend Binnenvertriebene, meist aus dem zerstörten Bachmut. Es gibt aber auch Menschen, die denen helfen, die nicht in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen. Eine Evakuierung der Gemeinde Siwersk wurde bisher nicht angekündigt, im Gegensatz zur Stadt Chasiv Yar, 50 Kilometer von Siwersk entfernt, die derzeit der am heftigsten umkämpfte Ort in der Ostukraine ist. „Wir haben gelernt, trotz teils unerträglicher Bedingungen zu überleben“, kommentiert Verwaltungschef Oleksij Worobjow den erneuten Beschuss der Stadt am 22. Mai sehr emotional. An diesem Tag machten die Russen mit Hilfe einer eineinhalb Tonnen schweren Fliegerbombe ein neunstöckiges Gebäude dem Erdboden gleich.

Der Moment, als die Fliegerbombe FAB-1500 ein Wohngebäude in der Stadt Siwersk traf

Im März fand die Firma „Technomashservice“ endlich eine Möglichkeit, die Vereinbarung abzuschließen und Gelder aus Deutschland zu erhalten. In den ersten Tagen des Monats schickten uns die Manager einen Dreiparteien­vertrag, was für uns eine angenehme Überraschung war. Neben der Herstellerfirma und dem Aachener Netzwerk wurde auch die Gemeinde Siwersk einbezogen.

Der nächste Schritt bestand darin, den Empfängern den Umgang mit der Ausrüstung zu beizubringen. Ende März trafen Vertreter des kommunalen Unternehmens Siwersk, das für den Betrieb der Ausrüstung verantwortlich sein wird, in Tscherkassy ein. Sie verbrachten etwa eine Woche damit, zu lernen, wie man das System installiert und wartet. Nach Rückmeldungen der Unternehmensleitung haben die Vertreter des Versorgungs­unter­nehmens die Aufgabe problemlos gemeistert.

Der Transport der Ausrüstung in den Osten der Ukraine war für April geplant. Aber auch hier gab es Schwierigkeiten, die die Lieferung um einen weiteren Monat verzögerten. Die Militärverwaltung von Siwersk war bereit, den Transport aus dem Gemeindehaushalt zu bezahlen. Aber private Transportunternehmen weigerten sich, mehrere Wochen auf den Erhalt der Gelder zu warten – die Geschäfts­bedingungen in der Ukraine sind so spezifisch.

Die Anlage wird in der Stadt Tscherkassy verladen

Am Ende half die gemeinnützige Stiftung Angels of Salvation. Sie sammelten etwa 45.000 Griwna (etwas mehr als 1.000 Euro) für den Transport der Ausrüstung. Am 17. Mai verließ der LKW schließlich die Stadt Tscherkassy.

Die Ausrüstung ist sicher verpackt und verladen und bereit für den Transport in den Osten der Ukraine

Am 18. Mai traf die Anlage zur Herstellung von Brennstoffbriketts in der Stadt Kramatorsk, 58 Kilometer westlich von Siwersk, ein. Aus Sicherheitsgründen wird sie dort installiert: In Kramatorsk gibt es glücklicherweise keine größeren Probleme mit der Strom- und Wasserversorgung – und weniger Beschuss.

Entladen der Anlage in der Stadt Kramatorsk

Derzeit werden in der Stadt Kramatorsk die Räumlichkeiten vorbereitet, in denen die Anlage installiert werden soll. Dort werden die Rohstoffe für die Herstellung von Briketts gesammelt. Die entsprechenden Verein­barungen zwischen Siwersk und Kramatorsk bestehen, sagt Oleksiy Vorobyov. Durch die vielen Wälder und die bei der Nutzung anfallenden Holzabfällen wird es an Rohstoffen nicht mangeln – diese werden nun aktiv genutzt, um die lebenswichtigen Aktivitäten für die Frontregion zu unterstützen.

Oleksiy Vorobyov, Leiter der Siwersker-Militärverwaltung, und ein Angestellter eines Versorgungsunternehmens in der Nähe der Stadt Kramatorsk

Nach Abschluss der Installation wird die Anlage in der Lage sein, etwa 300 Kilogramm Briketts pro Stunde zu produzieren. Ihre Produktivität reicht völlig aus, um die Bewohner der Gemeinde kostenlos mit Brennstoff zu versorgen.

„Unser Ziel ist es, die fast unerträglichen Lebensbedingungen der in Siwersk Verblie­benen angenehmer zu gestalten“, sagen Vertreter der Siwersker Verwaltung. Und auf der offiziellen Facebook-Seite der Community drücken sie unserer Organisation ihren Dank aus.

Die Stadtverwaltung von Siwersk dankt dem Aachener Netzwerk auf ihrer Facebook-Seite

In der Anerkennung wird betont: Da es auf dem Gebiet der Gemeinde keine Strom-, Gas- und Wärmeversorgung gibt, sucht das Team der Militärverwaltung von Siwersk ständig nach neuen Möglichkeiten, die Bewohner zu unterstützen, die noch in der Kriegszone leben. Die Gemeinde erhielt eine Anlage zur Herstellung von Brennstoffbriketts, durch deren Herstellung die Menschen kostenlos mit alternativem Brennstoff versorgt werden. Die Bewohner der Gemeinde sind zusammen mit dem Leiter Oleksiy Vorobyov und den Mitarbeitern der Verwaltung unserem Partner Aachener Netzwerk unendlich dankbar für die gekaufte Ausrüstung und Unterstützung in einer für die Ukrainer so schwierigen Zeit.

Gregory Blaida

Oben

HEJ – Bücher für Busovača/Bosnien

Wie schon durch mehrere AN-Rundbriefe bekannt ist, haben wir vor mehr als zwei Jahren unsere Sport- und Kreativwerkstatt HEJ in Busovača (Zentralbosnien) aufgebaut. In dieser Zeit wurden in der Werkstatt für bis zu Hundert Kinder und Jugendliche mehr als 1500 Stunden an kreativen, tänzerischen, sportlichen und anderen Aktivitäten angeboten. Unsere zwei Lehrerinnen Emira und Mersiha und die Tanztrainerin Jasenka haben großartige Arbeit geleistet. Begleitend zu diesen Aktivitäten wurde in der Gemeinde Busovača und beson­ders mit den lokalen Schulen „genetzwerkt“.

Torte zum zweiten Geburtstag

Es entstand die Idee einer Partnerschaft zwischen der Grundschule Kacuni, HEJ und Bertolt-Brecht-Gesamtschule (BBG) in Bonn, mit der wir seit Jahren bei unterschiedlichen Projekten kooperieren. Also eine Art trilaterale Zusammenarbeit. Die protokollarische Hürde, die man für eine solche Partnerschaft braucht und die Phasen, die man in einem recht komplizierten Schulsystem durchlaufen muss (Schulleitung-Überzeugungsarbeit, Zustimmung der Lehrer- und Schulkonferenz, …) waren nicht ganz ohne. Nachdem diese Hürden genommen wurden, hat die erste Austausch­fahrt nicht lange auf sich warten lassen.

Mitte Februar dieses Jahren waren 40 Schüler*innen und Lehrerinnen der BBG zur Gast in Busovača, wo sie nach eigenen Angaben eine außergewöhnliche Gastfreund­schaft und viele schöne Momente erlebt haben. Der Gegenbesuch der bosnischen Schule wird in September stattfinden. Warum schreiben wir das? Aus einem ganz einfachen Grund „eine schöne Idee zieht unserer Erfahrung nach oft eine andere/weitere schöne Idee nach sich“. Und so war es auch.

Da im Unterricht an der Grundschule Busovača die deutsche Sprache einen hohen Stellenwert hat, entstand die Idee die Schulbibliothek mit einer gewissen Anzahl an Kinder- bzw. Schul­büchern auszustatten. Kurz nach unserem Besuch schickte uns die Schul-Bibliothekarin aus Busovača eine „Bücher-Wunschliste“ zu. Die war mehr als genug um unseren „Netzwerk-Turbolader Helmut“ zu aktivieren.

Passende Flyer wurden in Lichtgeschwindigkeit fertig gestellt.

Facebook- und Instagram-Beiträge wurden geschrieben und oft geteilt.

Der Rest passierte (wie so oft) fast von alleine. Es finden sich immer Menschen, die solche Aufrufe hören und auch handeln.

Unsere Dank geht an alle, die die Bücher gespendet haben (u.a. natürlich die BBG Bonn, die ehemalige Bücherei der Aachener Pfarre St. Josef, Willkommen in Nippes, Cologne Cares, Engel ohne Grenzen, Lohmar hilft

Ehemalige Bücherei der Aachener Pfarre St. Josef

Innerhalb von zwei Monaten sind fast 800 Bücher zusammen gekommen und am Pfingstwochenende von uns nach Busovača gebracht worden.

Dort wurden sie von fleißigen HEJ-Helfer*innen sortiert und mit Aufklebern versehen.

Und schließlich wurden sie an die Schule über­geben, die sich sehr dankbar zeigte.

Den Worten des dortigen Schulleiters „Es scheint so zu sein, dass die Bücher bzw. wir den Kampf gegen die digitale Medienmacht verlieren werden“ kann mit Brecht-Worten erwidert werden: „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ Mit unserer bescheidenden Buch-Sammel-Aktion haben wir, wenn auch symbolisch, unseren Kampf ausgetragen! Unser großer Dank gilt allen, die uns dabei unterstützt haben.

Mujo Koluh

Wichtig: Bis Ende Juni sammeln wir weiter. Wenn wir zu viel Bücher haben (kann man zu viel Bücher haben???), unterstützen wir auch Kindergärten oder Schulen in Deutschland.

Oben