Europe Cares ist erst Mitte 2021 gegründet worden. Wir sprechen mit dem Vorstand über die Pläne des Vereins
Helmut Hardy (HH): Hallo ihr 3.
Julian, Luca, Lennard (v.l.n.r) – ihr bildet den Vorstand von Europe Cares.
Aber bevor wir dazu kommen, erst mal etwas privates.
Wer seid ihr?
Luca Beitz (LB): Hallo und vielen Dank für die Einladung zum Interview, Helmut! Ich bin Luca, 24 Jahre alt und komme aus Hamburg. Vor etwas über einem Jahr habe ich zu Europe Cares gefunden und war seitdem auch ca. 2 ½ Monate in Calais und auf Lesbos. Aktuell schreibe ich meine Bachelorarbeit im Studiengang technische BWL/Logistik, sehe meine Zukunft aber im Aktivismus und in der Politik, weil ich davon überzeugt bin, dass politische Krisen nur von innen heraus gelöst werden können.
Julian Gemmer (JG) Ebenfalls danke für die Einladung. Ich bin Julian, 35 Jahre alt und wohne in Mannheim. Im Berufsleben bin ich als Projektingenieur tätig. In meiner Freizeit engagiere ich mich seit Beginn der Corona-Pandemie intensiv für Europe Cares. Anfangs war für mich das Signal der Solidarität, das Europe Cares an Geflüchtete senden wollte, einfach ein wichtiges Anliegen. Mit der Zeit verstand ich immer mehr, dass wir gut darin sind, Hilfe zu leisten und damit echte Unterstützung für bedürftige Menschen auf der Flucht bieten können. Die Situation an den europäischen Grenzen zeugt von immensen politischen Verfehlungen. Ich sehe es als unsere Verantwortung, diesen Verfehlungen entgegenzuwirken – sowohl mit direkter Hilfeleistung als auch mit vereinter Stimme für besseren vor allem humanerem Umgang mit Menschen auf der Flucht.
Seit der Vereinsgründung bin ich Schatzmeister im Verein und möchte dazu beitragen, dass wir unsere humanitären Ziele effektiv in die Tat setzen.
Lennard Everwien (LE): Auch von meiner Seite vielen Dank! Ich lebe in Frankfurt und engagiere ich mich nach zwei Jahren in einer Unternehmensberatung aktuell hauptamtlich für Europe Cares. Mich hat vor allem ein Moment in 2016 aufgerüttelt, als Nazis das Haus meiner Nachbarn beschmierten, die ein „Refugees Welcome“ Schild aufgehängt hatten. Das ging mir nah und hat bei mir den Gedanken gefestigt, dass es unser aller Verantwortung ist Haltung zu zeigen. Ich war danach erst vor allem politisch aktiv und habe dann in 2020 gemeinsam mit zwei Freunden die Initiative „#EuropeCares“ gestartet.
HH: Ihr hattet alle drei schon Kontakt zum Aachener Netzwerk. Wie kam es dazu?
Luca: Als Im Dezember 2020 das Lager Lipa geschlossen wurde und anschließend abgebrannt ist, war es mir wichtig, dass wir einen Teil der Sachspenden, die sich in Hamburg befanden, schnellstmöglich nach Bosnien schicken. Im Internet bin ich über SOS Bihac auf das Aachener Netzwerk gestoßen und habe dich, Helmut, einfach angerufen. Eurer Wissen und eure Bereitschaft, dieses zu teilen und uns bei dem Transport zu unterstützen, hat mich sofort begeistert – wenige Wochen später bin ich Mitglied im AN geworden und schätze die Arbeit und den Austausch sehr!
Julian: Beim ersten Mal waren wir damit konfrontiert, Hilfsgüter über eine EU-Grenze nach Bosnien zu schicken. Da empfahl mir Luca, mit dir, Helmut, Kontakt aufzunehmen. Da Logistik und Transporte lange Zeit meine Hauptaufgaben waren, schätzte ich in diesen Fragen die Geduld und Expertise vom Aachener Netzwerk sehr. Ihr habt geholfen, dass unsere Hilfsgüterlieferungen zum Erfolg werden. Danke!
HH: Als Verein seid ihr noch ganz frisch – gegründet am 1. Juli 2021. Aber aktiv seid ihr schon länger.
Wie ist eure Geschichte (die von EuropeCares)?
Lennard: Europe Cares begann als Initiative (damals #EuropeCares) im April 2020. Mit der ersten Welle der Pandemie begannen das „Social Distancing“ und der erste Lockdown. Die inhumanen Zustände an unseren Außengrenzen waren dabei aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Im Camp Moria waren zu dem Zeitpunkt über 20.000 Menschen auf engstem Raum dem Virus ohne wirkungsvolle Schutzmaßnahmen ausgesetzt. Wir wollten ein Zeichen der Solidarität senden und irgendwie helfen – da kam der Gedanke Menschen in ganz Europa dazu aufzurufen Masken zu nähen.
Das Ganze ging dann sehr schnell: In drei Monaten konnten wir 50.000 selbstgenähte Masken aus 11 Ländern senden und bekamen sogar eine Spende von 350.000 FFP2-Masken. In dem Rahmen hatten wir engen Kontakt zu Organisationen auf Lesbos, wodurch uns erst das Ausmaß der Notsituation vor Ort klar wurde – denn es fehlte vor allem auch an Kleidung, Hygieneprodukten und Nahrungsmitteln.
Bei unserer Spendenaktion „Send Hope to Moria“ in sieben Städten in ganz Deutschland im September 2020 – zur Zeit des Feuers, das Moria zerstörte – kamen dann 750 Paletten Hilfsgüter zusammen. Das war eine unglaubliche Größenordnung, mit der niemand gerechnet. Für ein Jahr nach der Aktion sortierten wir unter erschwerten „Coronabedingungen“ die Hilfsgüter nach und nach und verschickten sie an Organisationen an den europäischen Grenzen. Es wurde schnell klar: Wir müssen eine eigene Organisation gründen, um langfristig Hilfe leisten zu können. Mittlerweile hat sich ein starkes Team aus ungefähr 25 Leuten gebildet. Seit der Aktion haben wir insgesamt 26 Hilfstransporte an Organisationen in Griechenland, Bosnien Herzegowina und Nordfrankreich senden können.
HH: Okay, so weit die Vergangenheit. Was sind eure Pläne für die Zukunft?
Luca: Aktuell bereiten wir alles für die Übernahme eines Spendenlagers auf Lesbos vor. Damit sind wir dann nicht nur auf der Versandseite, sondern auch vor Ort tätig. Das ist uns wichtig, um mit den Leuten zu sprechen, anstatt über sie und um die Bedarfe und Bedürfnisse besser und direkt einschätzen zu können. Zusätzlich bauen wir eine regelmäßige Versorgung aus den Niederlanden nach Calais auf. Unser Sachspendenversand aus Frankfurt wird kontinuierlich bestehen bleiben – in den letzten 14 Monaten konnten wir über 20 LKW mit insgesamt mehr als 500 Paletten verschicken! Damit möchten wir natürlich nicht aufhören.
Julian: Ganz richtig. Zusätzlich zu der direkten Hilfeleistung werden wir intensiver Aktivismus fördern und politischen Druck ausüben, um auch nachhaltig für würdevollen und menschenrechtsachtenden Umgang mit Personen auf der Flucht vor allem an den EU-Außengrenzen zu sorgen. Das ist keine kleine Aufgabe, aber wir sind gewillt dieser nachzugehen.
HH: Und wie kann das Aachener Netzwerk euch dabei helfen?
Wie soll unsere Zusammenarbeit in Zukunft aussehen?
Luca: Das Aachener Netzwerk war und ist für uns erster Ansprechpartner bei Fragen und Problem rund um den Transport nach Bosnien und auch bei vielen weiteren Themen. Die Expertise und das Netzwerk von Menschen aus verschiedenen Organisationen und Hintergründen ist unglaublich wertvoll. Wir freuen uns darauf, den Kontakt auszubauen und hoffen, dass wir in Zukunft beispielsweise Sachspenden vom AN auf Lesbos empfangen können und vielleicht auch hinsichtlich Calais enger zusammenarbeiten werden!
HH: Danke – ich wünsche uns allen eine fruchtbare Zusammenarbeit!