Großeinkauf

Der (vorerst) letzte Tag

Donnerstag, der 7. November 2019

Heute war unser letzter Tag in Bihac im Rahmen unseres Projekts. Wir hatten einen Plan – und alles kam anders…
Unser Plan für diesen Donnerstag war

  • die eingekauften Lebensmittel in Empfang zu nehmen,
  • die restlichen Rechnungen zu begleichen bzw. weitere Einkäufe zu tätigen,
  • benötigte Gelder auf das Konto des Roten Kreuzes zu überweisen, und schließlich
  • den Familienlager Borici zu besuchen.

Selam Midzic hatte dort schon am Mittwoch unseren Besuch angekündigt und unsere Namen durchgegeben. Nach dem Frühstück packten wir unsere Sachen und verließen unsere gepflegte Unterkunft.

Selam holte uns um 10:30 Uhr ab. Gleichzeitig begann in Vucjak die Frühstücksausgabe.
Auf meine Anfrage, sagte er mir, dass es gestern einen Ratsbeschluss in der außerordentlichen Sitzung des Stadtrates gab. Die Politik und die Verantwortlichen der Stadt haben einen neuen Standort benannt gegeben – Lipa – eine große Wiese, 10 km von Bihac entfernt. Er lächelte müde über diese „Neuigkeit“.
Denn dieser Beschluss erhält keine konkreten Anweisungen oder Aufträge darüber,
wer das organisieren, das Zeltlager errichten und den Umzug durchführen soll.
Vor allem bleibt ungeklärt, wer die Kosten tragen soll. Für Selam Midzic und das Rote Kreuz bleibt somit erst mal alles beim alten.

Schon wieder klingelte sein Telefon – schlechte Nachrichten!
Im Camp Vucjak gab es eine Auseinandersetzung mit Messerstecherei unter den Flüchtlingen/Migranten. Diese fand, vom Personal des Roten Kreuzes und Polizei unbemerkt, irgendwo zwischen den zahlreichen Zelten statt.
Zwei Personen wurden durch Messerstiche schwer verletzt und mussten ins Krankenhaus gebracht werden; eine dritte Person wurde ebenfalls verletzt, aber zum Glück ohne Stichverletzungen.
Selam ordnete den sofortigen Abzug seines „mobilen Teams“ von Vucjak an.
Leider ist das keine Seltenheit, sagte er. Es käme immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Menschen im Camp, aber auch in der Stadt Bihac.
In einigen Fällen sogar mit tödlichem Ausgang, wie die vergangenen Sommermonate gezeigt haben. Dieses unberechenbare Gewaltpotential war auch einer der Gründe für die Errichtung des Lagers in Vucjak, sagte er.

Mein Team und ich waren geschockt über die „Neuigkeiten aus Vucjak“, und froh, dass wir gerade nicht da oben waren.
Selam kann an der Situation auch nicht viel ändern, außer Anweisungen zum Schutz des eigenen Personals zu geben.
Wir machten uns auf den Weg, um unsere Arbeitsaufträge und Vorhaben für den heutigen Tag in die Tat umzusetzen.
Zuerst fahren wir zum Supermarkt Robot, wo wir von uns im Wert von ca. 2.600 € gekaufte Lebensmittel in Empfang nehmen und in die Großküche liefern lassen.

Familieneinkauf
Familieneinkauf

Gekauft haben wir 16 verschiedene Artikel:

  • 300 kg getrocknete Bohnen,
  • 200 kg Linsen,
  • 100 kg Reis,
  • 50 kg Nudeln,
  • 300 kg Kartoffeln,
  • 200 kg Zwiebeln,
  • 120 kg Rindfleisch
  • 160 kg Marmelade,
  • 60 Liter Öl und
  • viele Gewürze wie Paprika, Salz, Gemüsebrühe.

Danach geht es zum FIS, dem einheimischen Baumarkt. Dort geben wir weitere 800 € für Werkzeugbedarf des Roten Kreuzes aus.
Dazu gehören 14 verschiedene Artikel, unter anderem ein Handstapler, Werkzeugkiste mit Schraubenzieher, Rechen, Handspaten, Schneeschaufel, 200 m Stromkabel, kleine Lichtschalter, u.v.m.
Selam sagte, dass es zu einer Auslagerung von Vucjak kommen muss, man weiß nur nicht wann. Optimal wäre eine Auslagerung in ein altes Fabrikgebäude, Camp Bira, wo bereits Flüchtlinge untergebracht sind. Wenn es aber soweit wäre, würde er mit dem gekauften Kabel Strom für Licht in jedes Zelt verlegen (Zeltaufbau im Gebäude). Die Vorstellung, dass die Flüchtlinge und Migranten in der Zukunft Licht im Zelt haben sollen, erfreute mich. Gleichzeitig war ich aber enttäuscht, dass Organisationen wie das Rote Kreuz in Bosnien ausschließlich auf solche Hilfen ausländischer Spender angewiesen sind.
Es handelte sich um technische Ausstattung, die eigentlich vorhanden sein muss, genauso wie die Plastikteller, Besteck, Servietten, Müllsäcke, Backpapier….

Mit den Einkäufen waren wir jetzt hier soweit durch.
Nun wollten wir nur noch die noch nicht umgetauschten 5.000 Euro (ca. 10.000 KM – konvertible Mark) bei der Bank einzahlen, um damit Brot und Spritkosten des Roten Kreuzes zu bezahlen. Danach wollten wir als Abschluss unseres Projekts in Bihac das Familienkamp Borici zu besuchen. Es war kurz vor 13:00 Uhr.
Wider unsere Erwartung erwieß sich die Geldeinzahlung als eine sehr schwierige Mission.
Die nächsten 2,5 Stunden verbrachten wir damit, in zwei verschiedenen Banken das Geld zu tauschen und auf das Konto des Roten Kreuzes Bihac mit verschiedenen Verwendungszwecken einzuzahlen.
Will man in Bosnien einen Betrag, der 3000 KM (ca. 1500 €) übersteigt einzahlen, muss man für das Geld einen Nachweis erbringen. Für den Umtausch von Euro in KM muss man bereits ab 1000 € einen Nachweis erbringen. In unserem Fall wäre das die Auszahlungsquittung der Sparkasse für die 13.000 €, die wir mit nach Bosnien genommen haben.
Diese Quittung hatte ich „unerfahrenerweise“ nicht mit, einfach vergessen, nicht dran gedacht. Und das kostete uns an diesem Donnerstag viel Zeit. So viel Zeit, dass wir es nicht mehr schafften, noch das Familiencamp Borici zu besuchen. Wir waren einerseits enttäuscht darüber, aber andererseits froh, dass wir das Geld „ordentlich“ einzahlen und verteilen konnten.
Es ist 15:30 Uhr. Selam musste noch mal nach Vucjak fahren. Wir machten uns auf den Weg Richtung meiner Heimatstadt Odzak, 4 Stunden Fahrt vor uns. Um 17:00 Uhr wird es hier schon richtig dunkel sein.
Ein herzlicher Abschied von Selam Mizdic, dem Leiter des Roten Kreuz Bihac, mit einigen gemeinsamen Fotos folgt. Während wir uns verabschieden, wird Selam von einem jungen, verwahrlosten Flüchtling oder Migrant, um Hilfe für Essen und Trinken angesprochen.
Selam gibt ihm einige Münzen (ca. 4 Euro), von welchen er an diesem Tag sein Durst und Hunger in Bosnien gut stillen kann.
Selam bedankt sich für die Unterstützung, welche das Aachener Netzwerk in diesen drei arbeitsamen Tagen für Flüchtlinge/Migranten und das Rote Kreuz geleistet hat.
Eine der größten Probleme für ihn stellte die unbezahlte Brotrechnung in Höhe von 10.000 KM dar. Das war das Brot für Vucjak, welches seit Juni bis heute angeliefert wurde, trotz unbezahlter Rechnung. Wir freuen uns, dass wir ihm diese große Sorge, aber auch andere durch unserer Hilfe abnehmen konnten.

Goodbye
Goodbye

Wir resümieren, was wir mit unserem Projekt in Bihac geleistet haben:
2 Tonnen Sachspenden sind angekommen und werden durch das Rote Kreuz an die bedürftigen Flüchtlinge und Migranten ausgeteilt. Dies ist aber erst dann möglich, wenn genug Ware (Jacken, Schuhe, Decken) für alle 500, 800 oder 1200 Personen, eben die, die sich im Lager aufhalten vorhanden sind. Sonst riskiert man große Unruhen unter den Bedürftigen.
13.000 € Spendengelder, umgerechnet ca. 25.257 KM haben wir vom 04. – 07.11.2019, wie folgt ausgegeben:

  • 10.000 KM für 10.000 Brote (Juni-November 2019),
  • 5.230 KM für Lebensmittel,
  • 6.491 KM für Bedarf der täglichen Essensausgabe wie Besteck, Plastikteller, Müllsäcke,
  • 1.755 KM für Werkzeugbedarf des Roten Kreuz Bihac und
  • 1.780 KM für Transport- und Spritkosten des RK Bihac.

Nach erfolgter Abrechnung, werden wir alle getätigten Ausgaben auf unserer Website transparent veröffentlichen.
Mit dem Roten Kreuz sind wir nach wie vor in Kontakt Wir werden ihre Arbeit, als einzige örtliche Organisation, die sich für Migranten und Flüchtlinge in Vucjak einsetzt, weiter begleiten und unterstützen.
An dieser Stelle möchte ich mich als Projektleitern, im Namen meines Teams und im Namen des Aachener Netzwerkes herzlich bei allen Bürgerinnen und Bürger der Städteregion Aachen (und darüber hinaus) für die vielen Sach- und Geldspenden bedanken, mit welchen sie diese humanitäre Hilfsaktion für Vucjak möglich gemacht haben.

Vielen herzlichen Dank!

Snjezana Giana Haass