Ein zweites Interview mit einem Mitglied des Aachener Netzwerks. Die gleichen Fragen. Manche Antworten sind ähnlich, manche ganz anders. Aber lest selbst, was Ralf antwortet.
Helmut Hardy (HH): Ralf, du bist seit sieben Monaten Mitglied im „Aachener Netzwerk für humanitäre Hilfe und interkulturelle Friedensarbeit e.V.“. Wie bist du dazu gekommen?
Ralf Wuppermann (RW): Sieben Monate schon? Gefühlt bin ich kürzlich erst eingetreten. Das liegt wahrscheinlich an den zahlreichen „alten Hasen“, die schon so lange im Netzwerk dabei sind und schon so viel bewegt haben.
Einer von den ganz alten Hasen ist wohl Heinz Jussen. Wenn ich beim „Flame for Peace (FfP)“ mitgelaufen bin, haben mich immer schon seine Erzählungen von den Hilfsaktionen in den Jugoslawien-Kriegen der 90er Jahre stark bewegt. Ich denke, Heinz und der FfP haben bei mir schon vor längerer Zeit den Grundstein für den Eintritt in den Verein gelegt. Da wusste ich es nur noch nicht.
Durch den Lauftreff LTB Aachen und dort vor allem durch dich, Helmut, bin ich in den Verteiler für den Rundbrief des Aachener Netzwerks „geraten“. Ich habe ihn immer aufmerksam gelesen und das war’s dann. Also, dann bin ich eingetreten.
HH: Nun ist es ja oft nicht leicht, sich in einen gewachsenen Verein einzufinden. Wie empfindest du es?
„Learning by doing“ fällt mir da ein. Passt nicht hundertprozentig, aber so ungefähr: meine ersten Aktionen im Netzwerk waren gleich praktisches Anpacken beim Klamottensortieren und beim Palettenverladen für den Hilfstransport Anfang Februar nach Bihać.
Da habe ich gleich einen großen Teil des harten AN-Kerns kennen gelernt und wir haben Hand in Hand gearbeitet.
Mein erstes Plenum war dann bei Heinz in Belgien in der so genannten Werkstatt, eine sehr schön umgebaute alte Scheune. Es wurde an diesem Termin ein neuer Vorstand gewählt und Heinz bekam die Ehrenmitgliedschaft verliehen.
Eine besondere Atmosphäre! Für mich insgesamt ein schönes Erlebnis und ich fühlte mich gleich sehr gut aufgenommen.
HH: Was findest du an der aktuellen Arbeit … spannend? wichtig?
Unbürokratische Hilfe, die bei denen ankommt, die sie benötigen! Das ist das, was mich fasziniert. Winterkleidung sammeln, ins Krisengebiet transportieren und dort an die Frierenden verteilen ist ein einfaches, aber gutes Beispiel.
Klar stimme ich mit dir, Helmut, überein, wenn du sagst, dass wir nicht einfach nur ein „Klamotten-Sammel-Verein“ sind. Klar gehört auch konzeptionelle Arbeit dazu. Klar, dass immer auch an einer Art „Leitbild“ für den Verein gearbeitet wird.
Aber mein persönliches Ding ist eher das praktische Anpacken.
HH: Der Verein hat eine lange Historie, er ist mehr als ein Vierteljahrhundert alt. Sind die Themen nicht schon lange überholt?
Die Themen sind – leider – aktuell wie nie! Es ist schon eine traurige Ironie des Schicksals, dass genau an den Orten, wo in den Jugoslawien-Kriegen der 90er Jahre Menschen getötet, verletzt, traumatisiert wurden, dass dort heute wieder Menschen in großer Not und Lebensgefahr „gestrandet“ sind.
Es sind diesmal nicht die Einwohner selbst, sondern Flüchtende, die sich vor Krieg und Bedrohung in ihren Heimatländern in Sicherheit bringen wollen und nun an der EU-Außengrenze quasi „im Zaun hängen“, wenn ich das mal etwas sarkastisch ausdrücken darf.
Was mich persönlich betrifft, so muss ich zugeben, dass ich die Not, die Kriege und die Kriegsverbrechen, die in den Neunzigern vor unserer Haustür in Ex-Jugoslawien stattfanden, damals kaum beachtet habe.
Erst in letzter Zeit habe ich mich, wohl auch durch die Arbeit im Netzwerk, intensiver mit den damaligen Ereignissen befasst. Und bin erschrocken über mich selbst, dass ich Verbrechen wie den Völkermord von Srebrenica damals nur sehr abstrakt wahrgenommen habe.
Für mich persönlich sind also selbst die „alten Themen“ nicht überholt, und darüber hinaus sind die alten Themen tragischerweise wieder zu neuen Themen geworden.
HH: Und dann noch die übliche Frage aus dem Bewerbungsgespräch: Wo siehst du den Verein in 5 Jahren? Was möchtest du mit dem Verein bis dahin erreicht haben?
Uff! Übliche und dennoch schwierige Frage. Was mir spontan einfällt:
Vernetzung. Wichtiges Thema! Es scheint ja doch etliche Menschen zu geben, die irgendwie helfen wollen, aber nicht so recht wissen, an wen sie sich wenden sollen. Das zeigt sich in den umfangreichen Kleider- und Geldspenden, die eintrudeln, wenn wir dazu aufrufen. Und in den Anfragen und Spenden aus ganz Deutschland, speziell zur Hilfe vor Ort in Bihać. Vernetzung also konsequent weiter ausbauen! Aber da wärt ihr wohl auch ohne mich drauf gekommen!?
Auch kein neuer Einfall, aber für mich wichtig: weiterhin Hilfe vor Ort. Die Idee mit dem Kauf eines „sicheren Hauses“ oder Safe House oder wie man das nennt in Bihać finde ich hervorragend. Flucht braucht Zuflucht.
Ok, so richtig visionär sind meine Ideen jetzt nicht. Visionär wäre vielleicht:
Politisch daran arbeiten, dass die Flüchtenden nicht mehr am EU-Grenzzaun hängen bleiben müssen. Dass sie keine Zuflucht in einem kleinen Safe House suchen müssen, sondern sie im reichen und sicheren EU-Europa bekommen.
Oder besser noch: Dass sie erst gar nicht mehr ihre Heimatländer verlassen müssen, weil es dort wieder friedlich und sicher und auskömmlich ist.
Aber jetzt fange ich wohl an zu spinnen!?