Esada Huber hat im Juni dieses Jahres das Kinderheim „Centar Duga“ (Zentrum Regenbogen) im bosnischen Kulen Vakuf vorgestellt. Danach interessierte sie sich umso mehr dafür, wie Erzieher*innen mit diesen hohen Anforderungen und emotionalen Belastungen umgehen. Bei ihrem zweiten Besuch in Bosnien im August sprach sie deshalb mit Jasminka Vajzović, die seit der Gründung des Kinderheims als Erzieherin dort tätig ist:
Esada Huber (EH): Frau Vajzović, beschreiben Sie doch bitte zunächst kurz Ihren Arbeitsalltag im „Centar Duga“.
Jasminka Vajzović (JV): Ja also, wir Erzieher*innen arbeiten hier in drei Schichten und jede*r Erzieher*in ist jeweils einer Altersgruppe der Kinder zugewiesen. Die erste Schicht beginnt um 06.00 Uhr morgens. Nach einer kurzen Übergabe über die Ereignisse in der Nacht werden die älteren Kinder nach und nach geweckt und bei der morgendlichen Körperhygiene unterstützt. Danach gibt es in den jeweiligen Gruppen ein gemeinsames Frühstück und anschließend Gruppenspiel oder Einzelförderung der Kinder, je nach Bedarf. Bei schönem Wetter gehen wir vor dem Mittagessen mit den Kindern noch in den Garten, ansonsten wird drinnen gebastelt oder vorgelesen. Wir Erzieher*innen fahren und begleiten die Kinder auch zum Arzt nach Bihać, wenn dies notwendig ist. Dann teilen wir die Gruppen dementsprechend untereinander auf, da so ein Arztbesuch immer den ganzen Tag in Anspruch nimmt. Nach dem Mittagessen gibt es eine Ruhezeit für die Kinder. Die Kleineren schlafen dann meistens, und so gegen 14.00 Uhr kommt dann auch schon die nächste Schicht. Nachmittags gehen wir mit den Kindern bei jedem Wetter in den Garten, um ihre motorischen Fähigkeiten weiterentwickeln und auch fördern zu können. Abends gibt es dann wieder ein gemeinsames Essen und dann ist auch schon die Schlafenszeit da. Um 22.00 Uhr beginnt dann die Nachtschicht, wo wir meistens zu zweit arbeiten. Wenn wir viele kranke Kinder haben, muss auch schon mal eine dritte Kollegin aushelfen. Aber so im Großen und Ganzen ist das ungefähr so ein Arbeitsalltag hier im „Centar Duga“.
EH: Gibt es denn in Ihrem Arbeitsalltag auch mal für Sie als Erzieher*in besonders belastende Situationen?
JV: Naja, als ich hier angefangen habe zu arbeiten, war eine Zeit lang jeder Tag für mich eine belastende Situation. Ich habe aber gelernt, damit umzugehen und dadurch, dass es uns gelingt, die meisten Kinder entweder in ihre Ursprungsfamilien zurückzuführen oder in eine Adoption zu vermitteln, sind diese Situationen für mich immer weniger und erträglicher geworden. Ich denke mir dann immer, dass es doch schön ist, Kindern ohne Familie eine Zeit lang diese zu ersetzen, bis sie wieder ein neues, dauerhaftes Zuhause finden oder in ein hoffentlich verändertes bekanntes zurückkehren. Trotzdem gibt es natürlich immer wieder besonders belastende Situationen, wie beispielsweise einmal, als die Adoption nach mehreren Wochen Aufenthalt des Kindes in der Familie doch noch gescheitert ist. Wir tun unser Möglichstes, um die Kinder und potenzielle Adoptiveltern auf ein Zusammenleben vorzubereiten. Die interessierten Eltern müssen eine Weile lang bei uns hier wohnen und Einiges über sich ergehen lassen, bevor das Sozialamt und wir dann eine gemeinsame Entscheidung über die Eignung abgeben. Dennoch scheint es immer wieder, dass viele Paare, die sich für eine Adoption interessieren, sich nicht vollständig darüber bewusst sind, welche Verantwortung und Arbeit damit auf sie zukommt. Zum Glück sind diese Situationen jedoch wirklich sehr selten, eben dadurch, dass wir so viel Zeit für das Kennenlernen hier bei uns einfordern.
EH: Und wie ist es für Sie, wenn immer wieder neue Kinder dann die frei gewordenen Plätze belegen?
JV: Ja im Prinzip ist es tatsächlich so, dass frei gewordene Plätze fast schon wieder für neue Kinder oder Säuglinge reserviert sind, leider. Ich persönlich empfinde es dann als belastender, wenn bereits ältere Kinder zu uns kommen. Diese Kinder hatten schon irgendwie eine Bezugsperson in der Familie, aus der sie kommen, egal wie diese Person war. Für uns bedeutet das dann, dass wir anfangs sehr viel mehr Empathie und Ausdauer für dieses Kind aufbringen müssen, um es in unser Gruppenleben einzugewöhnen. Dieses Kind hat ja bereits auf irgendeine Art erfahren, wie es ist, in der eigenen Familie zu leben, auch wenn meistens die Verhältnisse eben dieser Familie dazu geführt haben, dass das Kind von uns in Obhut genommen wird. Trotzdem haben diese Kinder bereits Beziehungen aufgebaut, die wir nicht immer aufrechterhalten können oder dürfen. Das ist dann immer sehr schwierig für uns alle. Bei Säuglingen ist es jedoch so, dass sie ja von Anfang an nichts anderes kennen und sich sehr schnell in das Gruppenleben einfügen und ihre Position darin auch festigen. Da ist es dann so, dass diese Kinder mehr Zeit benötigen, um mit einer Adoption zurechtzukommen. Deshalb haben wir hier bei uns in „Centar Duga“ auch einen Familientag eingeführt, an dem die Kinder mit ihren „Bezugserzieher*innen“ zu ihnen privat nach Hause gehen, um ihnen zu zeigen, wie es in einer „normalen“ Familie abläuft. Alle Kinder freuen sich immer auf diesen Tag, denn dann müssen sie „ihre*n“ Erzieher*in mit keinem anderen Kind teilen. Von großem Vorteil für uns ist, dass alle Erzieher*innen hier im Ort wohnen und es dadurch keinen zu großen Aufwand bedeutet, und den Kindern tut es sehr gut.
EH: Frau Vajzović, zum Abschluss noch eine letzte Frage: Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie sich für Ihre zukünftige Arbeit im Kinderheim „Centar Duga“ wünschen?
JV: Tja, wenn ich ganz ehrlich bin, würde ich mir wünschen, dass es so etwas wie uns gar nicht geben müsste. Jedes Kind hat ein Recht auf seine eigene Familie, aber leider können manche Kinder dieses Recht nicht wahrnehmen oder es wird ihnen von der Familie selbst oder von außen erschwert.
Deshalb bin ich froh, hier in „Centar Duga“ arbeiten zu dürfen, wo wir eben durch Spendengelder die Möglichkeit haben, so etwas ähnliches wie eine Familie auf Zeit für die Kinder zu sein. Ohne diese finanziellen Zuwendungen wäre das personell nicht möglich, was man leider bei vielen anderen Betreuungsunterkünften hier in Bosnien beobachten kann. Ich wünsche mir einfach nur, dass wir unsere Arbeit auch weiter so ausgestalten können wie bisher, ja, das wäre mein Wunsch.