Rundbrief 20 – Februar 2020

Inhalt:

Gemeinsam sind wir stark
Mitgliederversammlung
Die Struktur des Aachener Netzwerks
Flüchtlinge in Tuzla
Der zweite Hilfstransport nach Bihać
Lübeck – Aachen – Bihać
Das Aachener Netzwerk in Bihać
Berlin – Aachen – Bihać
Bina Mira 2020: For Peace and Nature
Lohnt sich das alles?

Gemeinsam sind wir stark

Wie schrieb ich im Dezember? „Doch wir sollten uns auch etwas Ruhe gönnen. Kraft tanken.“

Und was haben wir statt dessen gemacht? Direkt einen zweiten Hilfstransport „angeschoben“. Machbar war das nur, weil insge­samt über 30 Leute geholfen haben. Danke! Mehr dazu in einem eigenen Artikel.

Wieso, weshalb, warum – ihr wisst es. Aber nicht alle wissen, was an den Außengrenzen der EU los ist. Viele haben davon gehört – haben es aber „verdrängt“. Die Lage in Bosnien, auf den Inseln Griechenlands, in der Tür­kei, in Libyen, im Mittelmeer, in Calais… – das hat alles nichts mit Mensch­lichkeit, Menschen­würde und Menschen­rechten zu tun.

Wir haben uns deshalb entschlossen, eine Ausstellung zu konzipieren, zu erstellen und durch die Welt zu schicken.

Dazu brauchen wir noch gute Bilder, inter­essante Exponate, gut besuchte Ausstellungs­orte, anziehende Vorträge für das Begleit­pro­gramm, kulturelle Beiträge für die Eröffnung…

Bitte meldet euch, wenn ihr Ideen habt und/oder mitwirken wollt.
Das Arbeiten in Teams und Netzen macht uns stark. Dazu muss unser Verein auch eine passende Struktur haben. Diese hat sich in den letzten Jahren etwas verändert. Das „Warum?“ und „Wie?“ erklären wir in diesem Rundbrief genauer.

Es reicht allerdings nicht, diese Struktur, das Arbeiten in Teams und in Kooperationen mit anderen Vereinen und Organisationen zu beschreiben – man muss es leben.
Unser Hilfstransport Anfang des Jahres hat gezeigt, dass dies funktioniert. Womit ich wieder am Anfang bin:

Gemeinsam sind wir stark!

Helmut Hardy (1. Vorsitzender)

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Mitgliederversammlung

Am Samstag, den 7. März 2020 findet um 11:00 Uhr die Mitgliederversammlung des Aachener Netzwerks statt. Ort der Handlung: B-4728 Hergenrath, Grünthal 9 (hinten im Garten).

Unsere Mitglieder sollten alle eine Einladung bekommen haben. Wenn nicht, meldet euch bitte!
Wichtige Tagesordnungspunkte sind die Neu­wahl des Vorstands und die „Verabschiedung“ unseres langjährigen Vorstandmitglieds Heinz Jussen, der nicht wieder kandidieren möchte.

Für unseren Verein geht ein spannendes, aktives, erfolgreiches, anstrengendes Jahr (fallen euch noch mehr Adjektive ein?) zu Ende. Kaum Zeit, um inne zu halten.

Der Vorstand (Giana, Heinz, Helmut)

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Die Struktur des Aachener Netzwerks

Ein relativ neues Mitglied unseres Vereins war von ver­schiedenen Begriffen und Organen des Aachener Netz­werks „verwirrt“: Mitglieder­ver­sammlung, Vor­standssitzung, Plenum, Projekt­gruppe. Wer soll sich wo angesprochen fühlen? Wer soll wo teilnehmen?

Dass das nicht immer ganz leicht ist, ist schon an meiner eigenen Geschichte im Verein zu erkennen: 2013 kam ich zum Aachener Netz­werk, als der Friedenslauf Flame for Peace organisiert wurde. Hier war ich Teil der ent­sprechenden Projektgruppe, ohne Mitglied des Vereins zu sein. Später wurde ich zuerst Mitglied und dann Kassenwart – und als solcher Teil des Vorstands. Unser Projekt Bina Mira wurde zu der Zeit von Elfriede Belleflamme und einem belgischen Verein organisiert, aber vom Aachener Netzwerk finanziert. Auch hier gab es eine Projektgruppe, die alles organisierte – und von der ich viele Leute nicht kannte.

Das klingt kompliziert, ist aber historisch leicht zu erklären: Das Aachener Netzwerk, so sagt es auch unsere Homepage, „versteht sich als eine Plattform für verschiedene Einzelprojekte mit gemeinsamer Zielrichtung“. Der Verein war „nur“ eine ju­ris­ti­sche Hülle für diese Projekte, z.B. die „Aktionsgemeinschaft Den Krieg über­leben“ und den „Kinderzirkus Pinocchio“. Diese Projekte wandel(te)n sich im Laufe der Zeit. Einige „sterben aus“, andere „werden geboren“. Bina Mira ist nur halb so alt wie der Verein, Flame for Peace noch viel jünger. Dieses „Nebeneinander“ erklärt, warum Flame for Peace und Bina Mira beide sowohl ein Logo als auch eine Homepage hatten, das Aachener Netzwerk aber keines von beiden.

Was über die Zeit blieb und die Projekte mit­einander verbindet, ist die Idee:
einerseits kurzfristige humanitäre Hilfe in Notlagen zu leisten, andererseits langfristig an einem friedlichen Zusammenleben der Völker und Kulturen zu arbeiten und hierbei auch friedens­politische Akzente zu setzen.

Mittlerweile hat das Aachener Netzwerk erst eine Homepage und dann auch ein Logo bekommen. Dies ist das äußere Zeichen eines inneren Wandels: Denn jetzt verstehen wir uns als ein Verein. Ein Verein, der mit ver­schie­denen Projekten an einer Idee arbeitet.

Auch personell ist der Verein im Wandel. Er besteht jetzt seit gut einem Vierteljahrhundert. Heinz Jussen, der letzte der „alten Garde“, wird im nächsten Jahr 80. Zielstrebig hat er darauf hin gearbeitet, den Verein an Jüngere zu übergeben. Bei der Mitgliederversammlung im März wird er auf eigenen Wunsch den Vorstand verlassen, dem er „schon ewig“ angehört. Ich weiß in der Tat nicht, ob er jemals nicht dem Vorstand angehört hat. Er ist einer derjenigen, wenn nicht sogar der, denen der Verein „alles“ zu verdanken hat!

Damit sind wir bei den beiden – nach Satzung – zentralen Organen unseres Vereins:
Einmal jährlich gibt es eine (ordentliche) Mitgliederversammlung mit formalen Auf­gaben wie Bericht des Vorstands, Entlastung und Wahlen (Kassenprüfer jährlich, Vorstand alle zwei Jahre). Sinnigerweise ist diese MV im 1. Quartal (nahe am Jahresabschluss, den man auch alle drei Jahre für das Finanzamt braucht).

Die Mitgliederversammlung gibt die zentralen Leitlinien vor, befasst sich aber üblicherweise nicht mit dem Tagesgeschäft.

Dieses obliegt dem Vorstand, über den die Satzung sagt: „Der Vorstand hat alle Aufgaben des Vereins wahrzunehmen, die nicht der Mitgliederversammlung übertragen sind. Er führt insbesondere die laufenden Geschäfte des Vereins.“ (§11, Absatz 5 der Satzung) Der Vorstand vertritt den Verein nach außen und ist damit auch juristisch verantwortlich.

De facto wäre und ist der Vorstand aber mit dieser Aufgabe überfordert. Nirgendwo in der Satzung steht, dass die Mitglieder irgendwo mitarbeiten oder über die Mitglieder­ver­sammlung hinaus in Entscheidungen ein­ge­bun­den werden. Wir haben aber Projektgruppen, in denen die meiste Arbeit passiert und in denen viele Entscheidungen getroffen werden. Das ist gut und richtig: Die, die Projekte voran treiben, sollen auch die Entscheidungen treffen.

Viele Entscheidungen müssen auch projekt­übergreifend an­gelegt sein: Termine sollten nicht kollidieren, (finanzielle) Risiken sollten ge­meinsam getragen werden. Auch hier sollte der Vorstand nicht bestimmen, sondern die gesamte Gruppe (nach Möglichkeit) im Konsens entscheiden.

Dafür haben wir 2019 das Plenum ins Leben gerufen, das sich ungefähr monatlich trifft. Hierzu sind alle Mitglieder (und manchmal auch Gäste) eingeladen. Um der Satzung gerecht zu werden, betrachten wir dieses Plenum zeitgleich als Vorstandssitzung. Solange alle Entscheidungen einmütig getroffen werden, sind sie zeitgleich auch vom Vorstand getroffen worden. Natürlich, das bedingt die Satzung und die juristische Verantwortung, können keine Entscheidungen gegen den Vorstand getroffen werden – er hat also eine Art Veto-Recht.

Die Projektgruppen müssen deshalb zentrale Entscheidungen immer auch im Plenum vorstellen, mit den anderen Projektgruppen und Mitgliedern abstimmen sowie im Zweifelsfall genehmigen lassen. Das Plenum ist also der Ort, an dem letztendlich (zwischen den Mit­glie­der­versammlungen) die wichtigen Ent­schei­dungen getroffen werden – wobei die Projekt­gruppen eine weitgehende Autonomie haben. Plenum und Projektgruppen, miteinander und neben­einander, in einer ausgewogenen Balance, immer orientiert an unseren gemeinsamen Zielen – darauf kommt es an.

Wir haben jetzt die (aus meiner Sicht) not­wendige Struktur geschaffen. Nun müssen wir sie „nur noch“ mit Leben füllen. Dann hätten wir mein persönliches Ziel erreicht und können den zentralen Satz unserer Homepage von „Das Netzwerk versteht sich als eine Plattform für verschiedene Einzelprojekte mit gemeinsamer Zielrichtung.“ in „Das Netzwerk ist ein Zusammenschluss von Personen, die ihre gemeinsamen Ziele im Sinne des Vereins in verschiedenen Projekten realisieren.“ ändern.

Helmut Hardy (1. Vorsitzender)

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Flüchtlinge in Tuzla

Bihać ist natürlich nicht die einzige Stadt in Bosnien, in der es Flüchtlinge gibt. In Tuzla leben knapp 100 Flüchtlinge in einem Zeltlager am Bahnhof, betreut vom Roten Kreuz. Da uns neben den vielen Hilfsgütern auch noch ca. 12.000 € gespendet wurden, werden wir das dortige Rote Kreuz durch den Kauf von Unter­wäsche unterstützen, die dort dringend ge­braucht wird.

Giana Haass

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Der zweite Hilfstransport nach Bihać

Am Freitag, den 1. November 2019, haben wir den ersten Hilfstransport nach Bihać auf den LKW verladen. Danach waren Giana, Ingrid, Khira und Sylvia in Bihać und empfingen den Hilfs­transport am folgenden Mittwoch (6. November). 247 Kartons mit 2,0 Tonnen Material. Eine reife Leistung, die alle viel Kraft ge­kostet hat.

Aber schon kamen Anfragen: „Wann fahrt ihr wieder?“, „Ich habe noch ein paar Jacken…“. Einerseits hatten wir die Pause echt nötig, andererseits hatte der Winter noch nicht richtig angefangen. So gab es Anfang Dezember erste Überlegungen: „Schaffen wir das ohne unsere 3 Prak­tikantinnen?“, „Steht der Raum im Bos­nischen Kulturverein BKC zur Verfügung?“, „Wird über Weihnachten und Silvester über­haupt jemand unsere Aktion bemerken?“

Nicht alle Fragen kann man wirklich klären. Mut zum Risiko? Okay, probieren wir‘s!

Am 12. Dezember stand es in unserem Rundbrief: Wir sammeln wieder, und zwar vom 6. bis 26. Januar. Eine Woche später ging eine E-Mail an viele Leute und Verteiler, die uns beim ersten Mal unterstützt hatten. Und dann passierte… nichts.

Weihnachten, Silvester – die Ruhe tat gut. Aber eine gewisse Unruhe blieb.

Am 6. Januar öffneten wir dann wieder die Türe des Bosnischen Kulturvereins. Und die ersten Sachen kamen rein. Nicht viel…

Aber es kamen auch Anrufe und E-Mails, die zeigten, dass viele Leute unseren Aufruf weiter verbreitet hatten, selber sammelten.

Und dann kam es zu Kontakten, mit denen wir gar nicht gerechnet hatten:

Es meldete sich jemand aus Nürnberg, der uns Sachen bringen wollte (und auch brachte).

Deana in Berlin hatte Kontakte zu jemanden, der uns 200 neue Jacken zur Verfügung stellen würde – wir müssten sie nur in Norderstedt abholen.

Helga und die Humanistische Union sammelten in Lübeck und kümmerten sich darum, dass diese Sachen nach Norderstedt kamen und von dort aus mit den Jacken nach Aachen.

Mehrere Firmen in Aachen sammelten und brachten ihre Sachen vorbei. Detlef Monjean, ein Spediteur aus Düren, bot sich an, die Sachen kostenlos nach Bosnien zu fahren.

Es ist wie immer: vieles passt unerwartet, anderes klappt dafür nicht. Der WDR zeigte kein Interesse. Der Super­Sonntag, der uns letztes Mal famos unterstützt hatte, reagierte nicht. In den Lokalzeitungen gab es am 21. Januar nur einen kleinen Artikel.

Aber das Lager war jedes Mal voll, wenn wir dahin kamen. Oft dachte ich, dass wir es an dem Abend wohl nicht alles schaffen würden. Wir hatten 11 Termine an denen wir die Sachen sortierten, immer zwei bis drei Stunden lang, meistens fünf oder sechs Leute. Vielen Dank an Adelheid, Alice, Anke, Birgit, Denis, Dirk, Franka, Funda, Giana, Hartmut, Helmut, Henning, Indira, Inga, Lina, Lisa, Melisa, Mersiha, Nedzad, Susanne und die, die ich vergessen habe (sorry!).

Es kristallisierte sich heraus, dass wir am zweiten Wochenende des Februars fahren würden, d.h. wir würden freitags den LKW beladen. Da wir ungefähr eine Woche für den Papierkram brauchen (alles beschriften, wiegen, katalogisieren), konnten wir die Sammlung noch bis zum 2. Februar verlängern.
Das Lager wurde voller und voller, es wurde eng – ein gutes Zeichen. In der Summe hatten wir nachher 359 Kartons, davon fünf sehr große mit Decken und Schlafsäcken, die sich zu 3,3 Tonnen aufsummierten! Quasi ohne Medien­unter­stützung zwei Drittel mehr!

Am 6. Februar trafen wir uns um 8 Uhr mor­gens, um die Paletten fertig zu machen und auf den LKW zu verladen. Dabei halfen Arnd, Denis, Detlef, Dino, Dirk, Giana, Helmut, Henning, Nedzad, Ralf und Tom. Parallel wurde schon aufgeräumt und der angefallene Müll weg gebracht. Um 10 Uhr waren wir schon fertig! Dann noch schnell zum Zoll – dieses Mal ganz entspannt.

Am Dienstag, den 11. Februar, stand der LKW in aller Frühe schon am bosnischen Zoll. Wenig später kam er bei Dirk Planert und SOS Bihać an und wurde entladen. Das Video davon kön­nen wir hier leider nicht zeigen. Aber 2 Bilder:

Schon nachmittags wurden die ersten Hilfsgüter an Flüchtlinge verteilt.

Okay, wie war das mit dem Eigenlob? Egal:

Das war eine Klasse-Aktion, für die viele Leute ein dickes Danke verdient haben. Die vielen, die die Sachen im BKC in Empfang genommen haben, die dort sortiert, verpackt, gewogen und verladen haben. Einen besonderen Dank an Detlef und seine Frau Corinne für die Fahrt nach Bosnien und zurück!

Euch allen möchte ich das Lob von Dirk Planert weiter geben, der total begeistert meinte:
„Hallo Aachen,
das ist der am besten verpackteste Transport, den ich jemals nach Bosnien bekommen habe – und das sind viele viele Jahre.
Ihr seid großartig!
Vielleicht kann ich mal andere Leute, die Transporte machen, zu einem Schulungs­training zu euch schicken – das wäre sehr konstruktiv.“

Helmut Hardy

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Lübeck – Aachen – Bihać

Helga Lenz arbeitet für die Humanistische Union in Lübeck. Sie hörte Mitte 2019 durch private Kontakte vom Plan des Aachener Netz­werks, einen Hilfstransport nach Bosnien zu machen – und arbeitet seitdem mit diesem zusammen. Sie war eine Woche in Bihać, hat dort unseren Hilfstransport empfangen und Dirk Planert begleitet.

Wie ist Bihać? Die Kleinstadt, schön gelegen zwischen Bergen und Grenzfluss, hat 40.000 Einwohner. Davon sind 25% Geflüchtete. 20.000 bosnische Arbeitsmigranten haben die Stadt in den letzten Jahren verlassen. In der Stadt gibt es nur einen Krankenwagen und manchmal auch nicht genug Medikamente. Weder für Geflüchtete noch für Einheimische. Die Stadt hat vielen Geflohenen geholfen, war und ist aber ohne die Unterstützung der Landes­regierung total überfordert. 2019 brachte der Bürgermeister Geflüchtete auf einer ehemaligen Müll­deponie in Vucjak unter – ohne Anschluss an Wasser, Strom und Kanalisation. Die Auflösung diesen unmenschlichen Lagers war für Dirk Planert und die Aktivisten von SOS Bihać ein großer Erfolg. Aber…

Nun werden in Bihać von der International Organization for Migration (IOM) in einer großen Industriehalle mit der Kapazität von 2.000 Betten ungefähr 1.000 Geflüchtete untergebracht. Vor der Halle sitzen viele Menschen, die nicht aufgenommen werden. Andere befinden sich in leerstehenden, abbruchreifen Häusern.

Mein „Alltag“ in Bihać bestand aus Lebens­mittel­großeinkäufen für über 100 Geflüchtete, das Packen von warmer Kleidung, Schuhen und Schlafsäcken für die in leerstehenden Häusern und Ruinen Schutz suchenden Geflüchteten.

Mit dem ehrenamtlich arbei­ten­den Sanitäter Aladin fahren wir die Standorte ab und suchen neue, denn ab und zu werden die Unterkünfte auch geräumt. In einer verlassenen Fabrik übernachten mal 100 und mal 30 Geflüchtete. Wir gehen die Treppe in den ersten Stock des völlig zerstörten Gebäudes über Schotter. Nur wenige Räume haben Fenster und Türen. Im ersten Raum ohne Türen und Fenster stehen 8 Männer am offenen Feuer. Sie verfeuern Holzteile des Gebäudes. Weiter hinten gibt es einen ca. 20 qm großen Raum, in dem 10 Afghanen leben. Hier steht einer der von Dirk konstruierten und vom Aachener Netzwerk finanzierten Öfen. Wie viel Geflüchtete gerade in der Fabrik leben, hängt von dem Erfolg des GAMEs ab. So nennen sie ihre Versuche über die Grenze zu kommen. Immer wieder treffe ich in der Stadt kleine Gruppen, die zum Game aufbrechen. Die Erfolgschancen an der grünen Grenze, die durch Drohnen mit Wärme­bild­kameras über­wacht wird, sind gering.

Die Verlierer des Games kommen häufig ohne Handy, Geld, manchmal auch ohne Schuhe, dafür aber mit Verletzungen zurück. Das merken wir am dritten Tag in „unserer Fabrik“.

Die Geflüchteten rissen uns Schuhe, Hosen, Schlafsäcke und Essen förmlich aus den Händen. Bei der Krankenversorgung wurde klar, dass die kroatische Polizei sie in der letzten Nacht mit Pfefferspray zurückgedrängt hatte. Zwei Menschen hatten schmerzende Augen, drei Knie- und Beinverletzungen. Auf der Webseite borderviolence.eu dokumentieren Organisationen und Einzelpersonen die Men­schen­rechtsverletzungen an der Grenze. Allein im Januar registrierten sie dort 263 Pushbacks.

Um den Geflüchteten auch auf ihrem Weg im Wald und in den Bergen helfen zu können, haben Dirk und Zlatan mit weiteren Unter­stützern die Hilfsorganisation SOS Bihać gegründet. Sie hoffen, dass sie in Kürze als erste Hilfsorganisation die Genehmigung erhält, im Grenzgebiet zu arbeiten. Bis dahin werden Füße still gehalten und die Freiwilligen fahren nicht die Routen der Geflüchteten im Wald ab. Dies wird von der Polizei als Schlepperei betrachtet, kostet im besten Fall 700 Euro, lange Verhöre bei der Polizei und jede Menge Ärger für SOS Bihać.

Für die Versorgung der Geflüchteten außerhalb der Stadt hoffen sie auf Spenden für eine mobile Krankenstation sowie Kletter- und Krankenliegeausrüstung für die Bergung von Verletzten.

Dafür können wir weiter sammeln…

Helga Lenz, Humanistische Union Lübeck

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Das Aachener Netzwerk in Bihać

Seit Mitte Januar ist er nun zwischen Bihać und der kroatischen Grenze unterwegs: „Unser“ Lada Niva. Dirk Planert und sein Team haben nun, neben Dirks Privatauto, einen zweiten Allradwagen.
Wofür benutzen sie ihn? Dirk schreibt:

„Wir fahren die Grenzregion ab, auch im Plesevica- Gebirge, und suchen Menschen. Dabei handelt es sich um Flüchtlinge, die von der kroatischen Grenzpolizei zurückgepusht wurden oder aber versuchen in die EU zu kommen. Diejenigen, die zurückgepusht wurden, haben in der Regel nichts mehr. Schlafsäcke, Rucksäcke und manchmal Schuhe sowie warme Kleidung werden den Menschen von der Grenzpolizei abgenommen. Sie brauchen wegen der Minustemperaturen Hilfe. Mitten im Gebirge haben wir neben einem abgebrannten Restaurant (10 Kilometer tief im Wald) einen „Save room“ eingerichtet. Hier können bis zu 15 Menschen unterkommen und die Nacht im Warmen verbringen. Wir haben Styropor ausgelegt und verklebt sowie einen Holzofen eingebaut. Der Weg dorthin ist mit einem normalen Auto im Winter unmöglich zu fahren. Das geht nur mit Allrad. Wie an anderen Orten ebenso. Wir nutzen dafür meinen Allrad Dacia Duster und zwei Quads.“

Dirk Planert

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Berlin – Aachen – Bihać

Deana Mrkaja ist Journalistin und Zukunfts­forscherin. Gemeinsam mit Tim Husseini hat sie Leyla gegründet – eine Bewegung, die mit Hilfe von Kunst gewaltfreien politischen Ak­tivismus antizipiert. Die beiden leben in Berlin und unterstützen das Aachener Netzwerk. Wir haben sie gefragt: Warum?

Bosnien ist die Heimat meiner Eltern. Auch wenn ich dort bin, fühle ich mich, als sei ich zu Hause angekommen. Seit dem Beginn, jedoch ins­be­sondere seit dem Ende des Bürgerkrieges 1995 hat der Staat aber aufgehört zu funktionieren. Bosnien ist ein Failed State, der durch das Geld, das die EU jährlich reinpumpt, künstlich am Leben gehalten wird. Bosnien hat gerade einmal knapp 3,5 Millionen Einwohner, dafür jedoch eines der kompliziertesten Regierungs­systeme der Welt. Warum ich das erwähne? Weil ich mich nicht darüber wundere, dass die dort gestrandeten Geflüchteten schlecht versorgt werden und weil ich mich noch viel weniger darüber wundere, dass diese Krise niemanden interessiert.

Ob wir, die auf der Sonnenseite der Welt, in West- und Nordeuropa, uns gerade für Menschen in Not interessieren, ist zyklus­abhängig. Im Sommer ertrinken wieder mehr Menschen im Mittelmeer, weil sie sich bei gutem Wetter in ihren Schlauchbooten aufs Wasser trauen, in der Hoffnung auf ein besseres Lebens, das im Grunde jedem Menschen auf diesem Planeten zusteht, und im Winter, wenn die ersten Menschen vor Kälte erfrieren und Weihnachten vor der Türe steht, sind wir auch wieder bereit, unser Mitgefühl auszusprechen und den ein oder anderen Euro zu spenden. Doch, was machen wir eigentlich in der Zwischenzeit? Sind wir der Thematik überdrüssig geworden, haben wir 2015 und in den darauffolgenden Jahren schließlich nicht schon genug geleistet?

Diese leicht tendenziösen Fragen stelle ich, weil auch ich erst wieder Bilder aus Camps wie Vučjak sehen musste, um erneut zu handeln. Als ich mich 2015 das erste Mal für Geflüchtete einsetzte, Demos organisierte, Deutschkurse gab, Spenden sammelte oder einfach mit Kindern spielte, merkte ich nach zwei Jahren des Engagements, dass die Luft raus ist, man sich hilflos fühlt, auch alleingelassen vom Staat. Ich zog mich zurück, wollte mich wieder um mein eigenes Leben kümmern. Als ich nun im vergangenen Jahr die Bilder aus Camps in Bosnien, der Heimat meiner Familie, sah, wusste ich, dass es Zeit war, wieder zu handeln. Während man 2015 auf unzählige Hilfsaktionen stieß und man kaum wusste, für welchen Verein man sich engagieren soll, sah es 2019 für Geflüchtete an den EU-Außengrenzen ziemlich düster aus. Bis auf das Aachener Netzwerk und Unterorganisationen des Deutsches Roten Kreuzes war da in Deutschland wenig zu finden.

Wer Bilder aus dem Camp in Vučjak, aber auch anderen Regionen in Bosnien sieht, Orte, die nicht einmal zwei Flugstunden von uns entfernt sind, der muss sich nicht nur fragen, wie es sein kann, dass wir es nicht schaffen, 7000 Menschen zu helfen, sondern auch, wie gut ein solcher Deal mit dem Despoten Erdoğan sein kann, wenn die Menschen sich dennoch über die Balkanroute auf den Weg zu uns machen. Und letztendlich sollte man sich noch fragen, mit welchen Mitteln die Kroaten die Geflüch­te­ten davon abhalten, einen Asylantrag innerhalb der EU zu stellen, ein Recht, das sogar in unserem Grundgesetz verankert ist.

Dass Bosnien, dieser Failed State mit seinen korrupten Politikern, die Aufgabe erfüllt, den Schutzsuchenden auch tatsächlichen Schutz zu bieten, ist genauso naiv wie die Annahme, Länder wie Jordanien oder der Libanon würden die Millionen, die vom Westen zu ihnen fließen, wirklich für das einsetzen, wofür sie gedacht sind – nämlich für die Hilfe von Menschen, de­ren höchste Priorität das Überleben geworden ist. Dass der Großteil der EU-Parlamentarier auch noch leugnet, dass an der kroatischen Grenze Gewalt, sogenannte (illegale) Push-Backs und Menschenrechtsverletzungen statt­finden, ist nicht nur naiv, sondern im Grunde nur noch eines: die traurige Bilanz unseres Desinteresses an der Hilfe von Geflüchteten. Denn damit lassen sich schon lange keine Mehrheiten mehr im Parlament holen. Oder wie es ein Bekannter, der für einen EU-Abge­ord­neten tätig ist, mir gegenüber formulierte: „Keine Sau in der EU interessiert sich für diese Menschen. Und so lange es keinen zivil­gesell­schaftlichen Druck gibt, wird sich auch weiterhin keiner dafür interessieren.“

Doch es gibt sie, diese zwei, drei Parla­men­tarier, die unermüdlich kämpfen für Menschen in Bosnien, auf Lesbos oder in den unzähligen Camps im mittleren Osten. So haben auch mein Partner, Tim Husseini, und ich mit unserer Bewegung Leyla sämtliche Hebel in Bewegung gesetzt, um Vereine wie das Aachener Netzwerk, die ebenso den Zustand dieser Welt nicht einfach hinnehmen wollen, bei ihrer Arbeit zu unterstützen.

Und wenn man dann plötzlich herumfragt, kommen nicht nur Sachspenden zusammen, sondern auch Geld, viele helfende Hände und auch Politiker, die ihre Hilfe an­bieten. Tim und ich konnten 200 neue Daunen­jacken für die Geflüchteten in Bosnien organisieren, die uns von anderen Hilfs­organisationen zur Verfügung gestellt wurden.

Zudem haben uns der EU-Parlamentarier Dietmar Köster und seine Mitarbeiterin Sonja Grabowski weitere Sachspenden zur Verfügung gestellt, die sie nach Aachen transportieren ließen. Im Berliner Technoclub „About Blank“ konnten wir einige Hundert Euro an Spenden sammeln. All diese Hilfe hat uns sehr motiviert. Was wir jedoch auch kennenlernen mussten, ist, dass unsere Spendenhilfsaktion auf Betterplace nicht gut angenommen wurde und wir dort lediglich 250 Euro sammeln konnten. Es scheint, als würde man im Netz mit solchen Aktionen untergehen, weil es zu viele von ihnen gibt. Was wir gelernt haben, ist, dass es Hilfsbereitschaft gibt, es jedoch häufig an der Koordination und Kommunikation mangelt. Daran wollen wir in Zukunft mit unserer Bewegung in Kooperation mit anderen Netz­werken arbeiten.

Ich kann verstehen, dass wir alle müde sind. Müde von den Bildern migrierender Menschen, müde vom Krieg, der weit weg von unserer Sicherheit ausgetragen wird, und noch müder vom Einsatz für diejenigen, die sich selbst nicht helfen können. Doch wir dürfen nicht ver­gessen, dass der Zufall der Geburt entscheidet, auf welchem Fleckchen Erde wir geboren werden, welches Stück Papier uns ausweist und uns unsere Freiheit oder Unfreiheit garantiert und dass niemand, wirklich niemand von diesen Menschen, die sich zu Fuß auf den Weg in eine bessere Welt machen, die Kriege, vor denen sie fliehen, angezettelt hat. Politik ist die eine Sache, Menschen die andere. Denn am Ende streben wir alle nach derselben Sache, so lange wir uns auf diesem Planeten befinden: nach einem guten Leben.

Die zweite Hilfsfahrt nach Bosnien ist vorbei. Wieder haben wenige mit vereinten Kräften dafür gesorgt, dass ein paar Symptome gelindert werden konnten. Doch das alles heilt nicht die eigentlichen Erkrankungen. Flucht­ursachen bekämpfen bedeutet nicht, schwim­mende Grenzzäune im Mittelmeer aufzustellen oder korrupten Staaten Geld zuzustecken. Auch wenn wir nicht für sofortigen Frieden im mittleren Osten sorgen können – wozu unser Einsatz führen kann, sehen wir nicht nur in Bosnien heute, sondern auch in Libyen oder Afghanistan – so können wir doch eines ganz gewiss: für legale Fluchtrouten sorgen.

Derweil unterstützen wir das Vorhaben des Aachener Netzwerks in der Planung einer Wanderausstellung. Darin sollen die EU-Außengrenzen thematisiert werden, zu denen bereits sehr viel Bildmaterial gesammelt werden konnte. Wir hoffen, damit in unterschiedlichen Städten auf das Elend der Menschen aufmerk­sam machen zu können und überlegen auch, sie in Straßburg oder Brüssel zu zeigen. Um den Menschen, die von uns gewählt wurden, um wichtige Entscheidungen zu treffen, die Augen zu öffnen. Wir arbeiten zudem daran, durch stärkere Außenkommunikation auf unter­schiedlichen Kanälen für mehr zivilgesell­schaftlichen Druck zu sorgen, damit sich am Ende wirklich etwas in dieser Welt verändert.

Deana Mrkaja

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Bina Mira 2020: For Peace and Nature

September ist Bina Mira-Zeit – so auch in diesem Jahr. Vom 20. bis zum 25. September treffen sich wieder einmal Jugendliche aus unterschiedlichen europäischen Ländern, um sich gemeinsam mit dem diesjährigen Thema For Peace and Nature in verschiedenen Workshops auseinanderzusetzen.

2020 geht es nach Portorož in Slowenien. Gastgeber ist das Teater Harlekin aus Postojna. Schon seit 15 Jahren entwickelt und produziert das Theater eigene Stücke, 25 Bühnenwerke wurden bisher aufgeführt. Die gemeinsame Arbeit von hörenden und gehörlosen jungen Menschen ist dabei ein Schwerpunkt. Ebenso steht die Bearbeitung ökologischer Themen in den Theaterstücken im Mittelpunkt, so wie in dem Stück AEI, mit dem die Gruppe im Jahr 2012 beim Bina Mira Festival in Banja Luka auf­getreten ist und das auf zahlreichen weiteren Festivals zu sehen war. Außerdem organisiert das Theater seit 10 Jahren das internationale Multimedia-Festival FAK in Postojna.

Organisator:

  • Teater Harlekin, Postojna (Slowenien)

Partnerorganisationen:

  • Aachener Netzwerk für humanitäre Hilfe und interkulturelle Friedensarbeit e.V.
  • Agora Theater, Eupen (Belgien)
  • Centar za kreativno odrastanje i mult­kultu­ralnu Saradnju CEKOM (Serbien)
  • DIS Youth Theatre DIS Pozorište mladih, Banja Luka (BiH)
  • Gustav-Heinemann-Gesamtschule, Alsdorf
  • Liceul Tehnologic Lucian Blaga, Reghin (Rumänien)
  • Rohestheater, Mies-van-der-Rohe-Schule
  • Teatat Tirena, Zagreb (Kroatien)
  • Udruzenje „Pozoriste mladih Tuzle“, Tuzla PMT (BiH)

Im Januar 2020 hat nun das Teater Harlekin gemeinsam mit dem DIS Teatar Banja Luka (Bosnien & Herzegowina) bei der National­agentur für Erasmus+ einen Förderantrag für das Bina Mira Festival in Slowenien gestellt. Ansprech­partner ist Dejan Lujic, der maßgeblich an der Antrag­stellung beteiligt war.

Für Ende Juli ist ein Vorberei­tungs­treffen von Vertretern des Bina Mira-Jugend­rates in Portorož geplant, vorausgesetzt der Antrag bei Erasmus+ wird genehmigt, was wir natürlich alle sehr hoffen!

Workshops:

  • How to deal with and control emotions
  • The other life of tetra pack
  • Music – Emotion – Theater
  • Puppet theatre
  • Virtual and augmented reality (VR and AR)
  • Film production workshop

Neben den Werten der EU, die bei jedem Bina Mira Festival eine große Rolle spielen, sind Wunsch nach Frieden und Respekt vor der Natur die diesjährigen Themen, die alle Partner in ihre Theaterszenen integrieren wollen. Diese Themen werden auch in den Workshops bearbeitet. So wird sich eine Werkstatt der künstlerischen Verarbeitung von Recycling­material widmen. Auch die weiteren Workshops zu Tanz, Musik, Film und Theater werden die Themen Frieden und Respekt bearbeiten.

Slowenien setzt sich übrigens seit Jahren für „grüne Themen“ ein und erhielt von der UN 2017 – dem Jahr der nachhaltigen Tourismus­entwicklung – den Titel nachhaltigstes Land, da es in allen Kategorien die höchste Punktzahl erreichte. Slowenien ist somit Vorreiter in Sachen Umweltschutz, Klimawandel und biologische Vielfalt.

Mitja Kranjc, der Direktor des Harlekin Theaters, freut sich schon darauf, im September seine Gäste begrüßen zu können.

Elfriede Belleflamme

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Lohnt sich das alles?

Konny Schmidt hat 2014 den Flame for Peace lauf begleitet und verpflegt. Er sprach bei der Aktionskonferenz „Stopp Air Base Ramstein Kam­pagne“ Mitte Dezember 2019:

Liebe FriedensfreundInnen,

zuerst ein paar persönliche Worte:

Manche von euch wissen, dass ich im Februar schwer krank geworden bin. Inzwischen habe ich mehrere Kopf- und Lungen­operationen hinter mir und bin gerade mitten in einer Bestrahlungstherapie. Wenn man das im Hinterkopf hat, bin ich eigentlich noch erstaunlich lebendig. Ich hoffe sehr, dass ich der Friedensbewegung noch ein bisschen erhalten bleibe.

Wie oft bin ich gefragt worden: hat sich das alles gelohnt? Ob ich nicht frustriert bin über all die Niederlagen? Sollte man nicht besser sich für andere erfolgversprechendere Projekte, die eigene Karriere usw. einsetzen?

Ich habe diese Frage selten danach beantwortet, was das unmittelbare Ergebnis unserer Aktivitäten ist, sondern, inwieweit das Engagement in der Friedensbewegung für mich selbst Sinn macht, meinem Leben Sinn gibt.

„Es geht ums Tun und nicht ums Siegen“ singt Konstantin Wecker in seinem Lied über die Geschwister Scholl.

Ich habe meine Eltern und ihre ganze Generation gefragt: Was habt ihr getan, als ihr gesehen habt, wie sie die Juden, eure Nachbarn, abtransportiert haben? Ich habe nicht behauptet, „ich wäre rausgegangen auf die Straße, hätte mich der SA in den Weg gestellt“. Nein, ich habe nicht das Zeug zum Helden. (Es gab aber welche!) Aber heute, wo du relativ risikolos oder mit kalkulierbaren Folgen etwas tun kannst – kann man da das alles tatenlos geschehen lassen?

Ich möchte aber auch festhalten: Ich bin fest davon überzeugt, wenn 1983 nicht der Konni Schmidt und weitere ca. 4 Millionen Menschen gegen Pershing II und Cruise Missiles demon­striert hätten, dann würde heute keiner mehr von uns leben.

Erst viel später haben wir erfahren, wie unheimlich knapp es in dieser Zeit war, oft nur wenige Sekunden vom atomaren Holocaust entfernt. Das ist heute leider wieder so.

Im April und Mai soll das größte Manöver seit Jahrzehnten stattfinden, in dem der Krieg gegen Russland trainiert werden soll. Die Beteiligung an diesem Manöver ist ein Verbrechen, ein klarer Verstoß gegen unsere Verfassung.

1975 habe ich mein Lehrerexamen abgelegt – mit dem besten Gesamtergebnis meines Jahrgangs. Aber ich durfte nicht Lehrer werden, weil ich „nicht die Gewähr dafür biete, jederzeit voll einzutreten für die freiheitlich demo­kratische Grundordnung“. Nicht, weil ich schon irgendwas getan hätte, sondern weil ich ja in Zukunft etwas tun könnte, was den Herr­schenden nicht gefällt.

Und genau die Leute, die diesen sogenannten „Radikalenerlass“ verabschiedeten, verstoßen z.B. in der Friedensfrage spätestens seit 1999 mit dem Jugoslawienkrieg permanent gegen unsere Verfassung.
Wir, die Friedensbewegung, sind die Verteidiger unseres Grundgesetzes gegen all die Kriegshetzer und Profiteure.

In den vergangenen 2 Wochen haben die Reaktionen der Medien auf die Verleihung des Literaturnobelpreises an Peter Handke nochmal unter Beweis gestellt, wie wenig die „westliche Gemeinschaft“ die eigenen Verbrechen gegen das jugoslawische Volk verarbeitet hat.
Nicht erst seit 1999 ist die Existenz der Air Base Ramstein eine frivole Beleidigung jeder an Humanität und Frieden orientierten Weltsicht.

Seit 20 Jahren werden von dort eine Vielzahl von Kriegshandlungen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit orga­nisiert.

Ich bin vor 71 Jahren keine 2 km von diesem schrecklichen Ort geboren und es gibt für mich keinen sehnlicheren Wunsch, als dass diese Mordmaschine endlich geschlossen wird – konvertiert wird in einen Ort des Friedens, der Ökologie, der Erneuerbaren Energien und des umweltverträglichen Tourismus am Nordrand des „Biosphärenreservats Pfälzerwald/ Nord­vogesen“, mitten in einer Kette von Naturschutzgebieten von Kaiserslautern bis ins Saarland.

Dafür, liebe Friedensfreunde, lohnt es sich zu leben, zu arbeiten, Veranstaltungen zu orga­nisieren, sich den Mund fusselig zu reden, sich die Finger wund zu schreiben, zu demon­strieren, zu blockieren, Friedenscamps und Frie­dens­werkstätten zu organisieren.

Ja es hat sich alles gelohnt und es lohnt sich weiterhin!

Ich möchte euch zum Schluss gerne einladen:

Am 16. Mai 2020 – das ist ein Samstag – werden wir nach Ramstein kommen. Wir, das sind 80 RadfahrerInnen der Friedensradfahrt 2020 auf dem Weg von Paris nach Hiroshima und Nagasaki.
Organisiert vom Verein „Bike for Peace and New Energies e. V.“, dessen Vorsitzender ich seit der Gründung bin. Am 15. Februar werde ich von diesem Amt aus Gesundheitsgründen zurücktreten. Andere werden meine Arbeit fort­setzen.

Am Sonntag, 17. Mai, radeln wir 65 km weiter von Ramstein nach Norden, nach Morbach im Hunsrück.
Und Morbach ist für uns Ramsteiner ein sehr spannender Ort: Ein ehemaliges Militärgelände ist heute zu einer „Energielandschaft“ kon­vertiert worden. So könnte Ramstein in ein paar Jahren aussehen – nur sehr viel größer.

Nie wieder Krieg – Nie wieder Faschismus – Frieden schaffen ohne Waffen!

Es lohnt sich Alles!

Konni Schmidt

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