Der bekannte Blog Balkanstories.net wurde vor 10 Jahren von Christoph Baumgarten gegründet. Fast täglich, und das darf man wörtlich nehmen, gibt es dort neue Beiträge über „den Balkan“. Meist auf Deutsch, oft auch auf Englisch. Mal tagespolitisch, mal „Geschichten, die das Leben schrieb“. Aber immer interessant. Wer ist dieser Christoph Baumgarten, der den Blog betreibt?
Helmut Hardy (HH): Erst mal zu dir. Wer bist du?
Christoph Baumgarten (CB): Ich bin Journalist, auch seit mittlerweile 26 Jahren. Ich hab mit 19 angefangen, bin also jetzt 45. Zur Familiengründung bin ich nie gekommen. Manchmal stellt sich nicht die richtige Frau ein, oder vielleicht hab ich sie auch übersehen.
HH: Du lebst und arbeitest in Wien. Warum Wien?
CB: Ganz einfach: Ich bin Österreicher, bin aufgrund der vielen Jobwechsel meines Vaters im halben Land aufgewachsen und zum Studium nach Wien gekommen. Das Studium hab ich berufsbedingt abgebrochen, in Wien bin ich hängen geblieben. Es gibt schlechtere Orte, an denen einem das passieren kann.
HH: Aus den deutschen Medien kennt man dich wenig. Wir haben nur ein paar ältere Artikel in der TAZ gefunden.
Für wen schreibst du und mit welchen Themen beschäftigst du dich?
CB: Ich hab da eine ganz bunte Karriere. Im Archiv des ORF-Landesstudio Niederösterreich müssen noch tausende Radio- und Fernsehbeiträge von mir sein, aber das ist schon lange her. Heute bin ich hauptberuflich bei der Arbeiterkammer Niederösterreich. Das ist die gesetzliche Interessenvertretung der Arbeitnehmer, sie existiert parallel zu den Gewerkschaften, als formales Gegengewicht zur Wirtschaftskammer. Das ist eine Lösung, die nur in Österreich existiert, und die Arbeitnehmern und den mit uns ja befreundeten Gewerkschaften größere Mitsprache erlaubt.
HH: Wie kommst du dazu, dich mit dem Balkan zu beschäftigen?
CB: Seitdem ich ein Kind war, hab ich immer auch Freunde aus dem ehemaligen Jugoslawien gehabt. Das zieht sich durch mein Leben. Und vor 20 Jahren dann die ersten Ausflüge, und seit mehr als zehn Jahren verbringe ich meinen gesamten Urlaub auf Balkanreisen. je mehr man die Region kennenlernt, desto mehr liebt man sie, und desto mehr entdeckt man natürlich, was man alles noch nicht weiß.
HH: 2015 hast du dann mit dem Blog „Balkan Stories“ angefangen. Warum?
CB: Ich wollte damals eine Reportage über das gerade frisch wiedereröffnete Nationalmuseum in Sarajevo schreiben, und habe niemanden gefunden, der die Geschichte bringen wollte – oder zumindest nicht in einem Format, das die sehr komplexe Geschichte dahinter sichtbar gemacht hätte. Da dachte ich mir: Mach doch dein eigenes Ding, und erzähl die Geschichten, die sonst in größeren Medien keinen Platz finden.
HH: Wie schaffst du es, von Wien aus immer gut informiert zu sein?
CB: Ich hab natürlich mittlerweile viele Freunden unten, und da weisen mich schon immer wieder Leute auf Dinge hin. Viele Dinge erfahre ich auch, weil ich größeren Medien aus der Region in sozialen Medien folge, und mittlerweile die Sprache zumindest halbwegs verstehe.
HH: 2019 haben wir zum ersten Mal Kontakt gehabt. Damals ging es um Bihac, um Fluchtrouten, …
Wie kamst du zum Thema Flucht?
CB: Auch das ist Kindheits- oder Jugendgeschichte. In den 90-ern haben meine Eltern bosnische Flüchtlinge betreut. Wir Kinder haben natürlich mitgeholfen. Das prägt, und darüber bin ich ganz froh.
HH: Und ist es immer noch eines der Themen der „Balkan Stories“?
CB: Klar. Wenn Menschen flüchten müssen, ist das immer ein Thema. Die machen das ja nicht zum Spaß. Ich komme nicht so viel dazu, mich mit dem Thema zu beschäftigen, wie ich gerne würde, aber ein Auge habe ich immer drauf – auch dank der Infos etwa von SOS Balkanroute.
HH: Wie siehst du die Zukunft der „Balkan Stories“?
CB: Im Moment ist das sehr schwierig. Facebook hat seine Algorithmen wieder mal umgestellt. Externe Links kleinerer Medien werden dadurch noch viel schwerer sichtbarer als früher. Damit will man Medien dazu bringen, in Werbung bei Facebook zu investieren. Das schadet meiner Reichweite bei neuen Geschichten mittlerweile so sehr, dass ich mir echt überlegen muss, ob der Blog noch einen Sinn hat. Wenn man einen Tag oder mehrere Tage an einer Geschichte arbeitet, und dann sehen sie vielleicht 50 Leute, ist das nicht motivierend. Wenn’s nach mir ginge, würde ich gerne nichts anderes tun und vom Blog leben können, vielleicht von Sarajevo aus. So kann ich dank Spenden gerade mal die Fixkosten decken, den Rest finanziere ich aus meinem Brotberuf.
HH: Und wie siehst du Gegenwart und Zukunft des Balkans?
Was sind die Hauptprobleme? Und welche Lösungen siehst du?
CB: Da könnte ich sehr lange darüber reden. Es ist eine Mischung aus Armut, Nationalismus, Korruption und gleichzeitig Improvisierfähigkeit und Überlebenskunst. Leider sind die Menschen der Region im politischen Sinn seit dem Zerfall Jugoslawiens sehr passiv und tendieren dazu, auf Hilfe von außen zu hoffen. Der tägliche Protest gegen die Zustände ist die Auswanderung. Aber wie wir gerade in Serbien mit den Massenprotesten gesehen haben, da scheint eine neue Generation heranzuwachsen, die das so nicht mehr hinnehmen will. Und diese Generation begreift auch, dass der Kampf gegen die Zustände nicht nur im eigenen Land passieren kann, dass es etwas Verbindendes zwischen den Gesellschaften des ehemaligen Jugoslawien gibt, und dass darin auch Kraft steckt. Das macht Hoffnung.
HH: Danke, Christoph, für dieses Interview und dein Engagement!